CSH Policy Brief 3/2020 | Update 14. März 2020
Die Zahl der Neuerkrankungen lag am 13. März mit 504 Fällen geringfügig über der exponentiellen Kurve. Die Verdoppelungszeit liegt nun bei 2,27 Tagen (im Vergleich zu 2,3 Tagen am 11. März).
Unter der Annahme, dass die Bevölkerung die von der Bundesregierung verkündeten weit reichenden Maßnahmen befolgt und Österreich im Laufe der kommenden Woche auf einen Pfad einschwenkt wie Italien (Verdoppelungsrate Italien derzeit: 3,6 Tage), rückt der Zeitpunkt, an dem es zu Engpässen bei Spitalsbetten kommen könnte, um einige Tage nach hinten im Vergleich zu einem Szenario ohne Maßnahmen.
Folgende Annahmen sind berücksichtigt:
- die vom Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker angekündigten 700 zusätzliche Spitalsbetten in Wien (Kapazitätssteigerung bei verfügbaren Betten um 25 Prozent)
- die 880 Betten, die die Stadt Wien derzeit in der Messe Wien aufbaut
- die Annahme, dass die Bundesländer ihre Bettenkapazität ebenfalls um 25 Prozent erhöhen
- die Verdoppelungsraten reduzieren sich auf ähnliche Raten wie Italien
Bestätigte Coronavirus-Fälle vs. Krankenhausbetten
CSH Policy Brief 3/2020 | Update 13. März 2020
11. März 2020
CSH Policy Brief 3/2020
Coronavirus-Maßnahmen in Österreich eventuell zu gering, um Kapazitätslimits bei Spitalsbetten zu vermeiden
Laut Berechnungen des Complexity Science Hub Vienna (CSH) könnte das Kapazitätslimit an Intensivbetten in österreichischen Spitälern in etwa 14 Tagen erreicht werden, das aller Betten Anfang April. Es sollten daher unbedingt Maßnahmen ergriffen werden, die stärker greifen als die implementierten Maßnahmen in Italien.
Hintergrund
Das Coronavirus ist nun lange genug im Umlauf, um die exponentiellen Ausbreitungsraten in einzelnen Ländern messen zu können. Diese Raten geben Aufschluss darüber, in welchem Ausmaß die Maßnahmen wirken, die von einzelnen Ländern zur Verlangsamung der Ausbreitung ergriffen wurden. Es kommt zum Teil zu erheblichen Unterschieden der Ausbreitungsraten. Während Länder wie China oder Singapur die Ausbreitung unter Kontrolle gebracht haben, schreitet sie in vielen EU-Ländern weiter exponentiell voran.
Die Anzahl der Fälle verdoppelt sich in Österreich derzeit ca. alle 2 Tage und 8 Stunden (Abb.1). Italien hatte so eine Verdopplungszeit etwa in Kalenderwoche 8. Seit Kalenderwoche 9 greifen in Italien die umgesetzten Maßnahmen in geringem, aber nachweisbarem Ausmaß: Die Verdopplungszeit wurde auf ca. 3 Tage und 2 Stunden verlängert. In Österreich kann derzeit keine Verlängerung der Verdopplungszeit festgestellt werden.
In Ländern wie Singapur und China, wo deutlich früher reagiert wurde und deutlich drastischere Maßnahmen umgesetzt wurden, konnten die exponentiellen Ausbreitungsraten unter Kontrolle gebracht werden und sind nun sub-exponentiell (siehe unten, Beispiel in „Fazit“). Die Tatsache, dass in Italien die Maßnahmen nur beschränkt greifen und die Ansteckungsraten noch immer exponentiell sind, indiziert, dass die derzeit in Österreich gesetzten Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die notwendige Reduktion der exponentiellen Ausbreitung in den nächsten Wochen zu garantieren. Engpässe bei Spitalsbetten können daher nicht ausgeschlossen werden.
In China wurden 80 Städte und Provinzen abgeschottet, der Verkehr und das öffentliches Leben wurden drastisch eingeschränkt. In Singapur zum Beispiel wurde sofort nach den ersten Fällen ein flächendeckendes Fiebermessen zweimal pro Tag und eine radikale Quarantäne umgesetzt. Viele asiatische Länder haben aus der SARS-Krise 2003 gelernt und waren diesmal entsprechend vorbereitet.
Ergebnisse im Detail
Zeitverlauf der Ausbreitung
Abbildung 1 zeigt den Zeitverlauf der Infektionen in Österreich, Italien und Deutschland. Während Maßnahmen in Italien schwach greifen, befindet sich Österreich noch in einer Phase exponentieller Ausbreitung mit einer Verdoppelungsrate von derzeit 2 Tagen und 8 Stunden. Im Vergleich zu europäischen Ländern haben in Singapur (und anderen asiatischen Ländern) Maßnahmen nach etwa 10 Tagen deutlich gegriffen. In Singapur hat man das exponentielle Wachstum in den Griff bekommen (Datengrundlage [1]).
Möglicher Engpass an Betten in Österreichs Spitälern
Unter der Annahme, dass die Ausbreitung in Österreich weiterhin exponentiell voranschreitet, und der weiteren Annahme, dass etwa 5 Prozent der Fälle kritisch sind und Intensivbetreuung benötigen, sowie dass weitere 14 Prozent so schwer verlaufen, dass sie medizinische Versorgung in Krankenhäusern benötigen [2], erreicht Österreich mit seinen gegenwärtigen Kapazitäten [3] in etwa 14 Tagen das Kapazitätslimit an Betten in Intensivstationen (in den meisten Bundesländern zwischen 22. und 27. März, in Kärnten am 2. April; siehe Tabelle). Das Limit an Betten in Stationen der Inneren Medizin wird zwischen 22. März und 6. April erreicht, ein Engpass bei allen derzeit existierenden Krankenhausbetten in Österreich könnte gegen Anfang April zu erwarten sein. In dieses Szenario wurde nicht eingerechnet, dass Betten nach Genesung wieder frei werden. Gegeben das exponentielle Wachstum und die Zeitnähe des zu erwartenden Engpasses ist dieser Effekt aber vernachlässigbar.
In Abbildung 2 ist der zu erwartende Zeitverlauf unter diesen Annahmen dargestellt. Die horizontalen Linien kennzeichnen die derzeitige Verfügbarkeit. Die Zahlen geben den Zeitpunkt des Erreichens des Engpasses an. Die Situation für die Bundesländer ist unterschiedlich und in Tabelle 1 zusammengefasst.
Fazit des CSH
Unter der Annahme, dass Maßnahmen, wie sie in den letzten Wochen in Italien eingeführt wurden, eine nur relativ geringe Reduktion der Infektionsraten zeigen und bis jetzt keine Änderung des exponentiellen Verlaufs absehbar ist, sowie unter der Annahme, dass sich die Situation in Österreich unter den am 10. März 2020 angekündigten Maßnahmen ähnlich entwickeln wird wie in Italien, ist mit einem Kapazitätsengpass an Intensivbetten in Österreich innerhalb der nächsten 2 bis 3 Wochen zu rechnen, für alle Krankenhausbetten in ca. 3 bis 4 Wochen. In Anbetracht dieser Szenarien könnten weitaus drastischere Maßnahmen notwendig sein, um die Situation schneller zu entschärfen, bevor man in medizinische Engpässe läuft.
Literatur:
[1] Rohdaten der Johns Hopkins University:
[2] https://ourworldindata.org/coronavirus#the-severity-of-the-symptoms-of-covid-19
[4] Megan McArdle, When a danger is growing exponentially, everything looks fine until it doesn’t, The Washington Post 10.3.2020,