[The press release was published via Alpha Galileo]
16.07.2018, Complexity Science Hub Vienna
Ob in Kunst oder Wissenschaft: Nutze deine Erfolgssträhne!
Die erfolgreichsten drei Werke einer Karriere entstehen innerhalb weniger Jahre, fand eine Analyse zehntausender Lebensläufe aus Kunst, Wissenschaft und Film. Dieser „Lauf“ entsteht nicht durch höhere Produktivität und er lässt sich nicht an einem bestimmten Zeitpunkt festmachen, schreibt ein internationales Forschungsteam, an dem auch ein Mitglied des Complexity Science Hub Vienna beteiligt war, in der aktuellen Ausgabe von „Nature“.
(Wien, 16. 7. 2018) Beim Pokerspiel bedeuten „Hot Streaks“ mehrere gute Blätter hintereinander. Eine Forschungsgruppe um Dashun Wang von der Northwestern University (USA) fand nun auch in den Karrieren der meisten Kreativen einen solchen „Lauf“: eine zeitlich begrenzte Phase, in der ihre erfolgreichsten Werke entstehen.
Für ihre Big-Data-Analyse zog das Team die Lebensläufe von 3.480 KünstlerInnen, 6.233 FilmregisseurInnen und 20.040 Forschern und Wissenschaftlerinnen aus mehreren Jahrhunderten heran. Der Erfolg der einzelnen Arbeiten wurde bei Kunstwerken durch den erzielten Preis bei Auktionen bestimmt, bei Filmen durch die Bewertungen auf der International Movie Database (IMDb). Als Maßstab für den Einfluss einer wissenschaftlichen Veröffentlichung galt die Anzahl der Zitierungen in den ersten zehn Jahren nach Erscheinen des Artikels.
„In einer früheren Arbeit haben wir gesehen, dass es keinen bestimmten Zeitpunkt für das erfolgreichste Werk gibt“, erklärt Ko-Autorin Roberta Sinatra von der Central European University in Budapest und dem Complexity Science Hub Vienna. „Das einflussreichste Werk kann zu jeder Zeit im Leben entstehen: Die Dissertation einer jungen Forscherin kann genauso gut zu ihrem Hit werden wie ein spätes Werk am Ende des Berufslebens.“
Für den aktuellen Artikel wollten die WissenschaftlerInnen herausfinden, ob die nächst-erfolgreichen Arbeiten ebenso zufällig verteilt sind. Doch das waren sie nicht. „Die zweit- und drittbesten Werke liegen zeitlich viel eher nahe an der erfolgreichsten Arbeit“, sagt Komplexitätsforscherin und Physikerin Sinatra. „Wir sprechen deshalb von einem ‚Hot Streak‘: einem ‚Lauf‘.“ Ein Beispiel dafür ist Albert Einstein, der in seinem “Wunderjahr” 1905 innerhalb weniger Monate drei Arbeiten verfasste, die die Physik revolutionierten. Auch Vincent van Goghs erfolgreichste Malereien, darunter die berühmten Sonnenblumen oder das Bildnis „Sternennacht über der Rhône“, entstanden in seiner kreativsten Phase.
Bei Künstlern und Künstlerinnen hält eine solche Erfolgssträhne durchschnittlich 5,7 Jahre an, schreiben die Komplexitätsforscherinnen und -forscher in ihrem Artikel „Hot streaks in artistic, cultural, and scientific careers“. Bei FilmemacherInnen dauern sie ungefähr 5,2 Jahre. In der Wissenschaft waren die Erfolgsläufe mit durchschnittlich 3,7 Jahren deutlich kürzer.
Wie es zu dem Kreativitäts-Hoch kommt, konnte noch nicht geklärt werden. „Unerwarteterweise haben wir keine Anzeichen dafür gefunden, dass während der Erfolgsläufe mehr produziert wird als sonst“, sagt Roberta Sinatra. Die ForscherInnen vermuten deshalb, dass es phasenweise zu einer inneren Veränderung im kreativen Prozess kommt, sodass die Qualität der Arbeiten steigt.
Die Zeit will gut genutzt sein: Denn die Mehrheit der Kreativen erlebt nur einen solchen Lauf im Leben. Bei rund zwei Dritteln jener KünstlerInnen (64 Prozent) und WissenschaftlerInnen (68 Prozent), bei denen das Forschungsteam eine Erfolgssträhne festgestellt hatte, blieb es bei dem einen Mal. In der Gruppe der FilmemacherInnen mit “Hot Streaks” galt das sogar für 80 Prozent. Und ein dritter Erfolgslauf “ist in allen drei Berufsfeldern sehr unwahrscheinlich“, so Sinatra.
Volles bibliographisches Zitat:
Lu Liu, Yang Wang, Roberta Sinatra, C. Lee Giles, Chaoming Song, D. Wang, Hot streaks in artistic, cultural, and scientific careers, Nature 559, 151–152 (2018), http://dx.doi.org/10.1038/s41586-018-0315-8