Bis zu 5.000 Menschen sterben jedes Jahr in Österreich wegen mangelnder Hygiene. Auch die Zahl der Antibiotikaresistenzen nimmt dadurch zu. Mit Händedesinfektion könnte man das gut verhindern
Doch nicht nur im Krankenhaus ist die richtige Handhygiene wichtig, auch im normalen Alltag kann man dadurch viele Infektionen vermeiden. Vor allem kann man ältere und vulnerable Menschen schützen, die pflegebedürftige Oma etwa oder den an Krebs erkrankten Onkel. Um das Bewusstsein für die positive Auswirkung dieses einfachen Mittels zu schärfen, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 5. Mai den Internationalen Tag der Händehygiene ins Leben gerufen – der 5. Mai steht dabei für die fünf Finger. Johannes Culen, Generalsekretär der Semmelweis-Gesellschaft in Wien, erklärt, wie Handhygiene ganz einfach Leben retten kann und was das mit Antibiotikaresistenzen zu tun hat.
STANDARD: Warum ist Handhygiene immer noch so wichtig?
Culen: Weil dadurch eine große Zahl an Infektionen verhindert werden kann. Klar, in der endemischen Übergangsphase, in der wir uns jetzt befinden, scheint das Thema vielen Menschen nicht mehr so wichtig zu sein. Aber es ist nicht weniger relevant geworden. Immer noch gilt, wenn man sich selbst nicht ganz fit fühlt oder potenziell mit Krankheitserregern in Kontakt gekommen ist, etwa weil die Kinder sie aus dem Kindergarten mitgebracht haben, sollte man von vulnerablen Personen Abstand halten und Hände desinfizieren. Und ganz wichtig ist die Händehygiene, sobald man mit immunsupprimierten Personen zu tun hat, ins Krankenhaus oder Pflegeheim geht.
STANDARD: Hilft es auch, einfach schmutzige Oberflächen zu meiden?
Culen: Das hat nur bedingt damit zu tun, dass wir ständig kontaminierte Oberflächen angreifen. Viele potenzielle Erreger sind Teil des Hautmikrobioms, wir tragen sie permanent mit uns herum. Einer gesunden Person können sie im Normalfall nichts anhaben, aber Menschen mit geschwächtem Immunsystem sind angreifbar, für sie ist eine gute Desinfektion wirklich wichtig, um vermeidbare Krankheiten zu verhindern. Voraussetzung dafür ist, dass man es richtig macht.
STANDARD: Und wie geht das? Man sollte zwar meinen, nach der Pandemie wissen das alle, aber oft sieht man, dass jemand einfach ein bisschen Desinfektionsmittel verreibt, und gut ist es …
Culen: Das beginnt mit dem richtigen Handdesinfektionsmittel. Laut WHO muss es mit 70-prozentigem Alkohol versetzt sein. Man nimmt eine ausreichende Menge, das sind drei Milliliter, im Normalfall ein Pumpstoß, und verreibt es innen und außen auf den Handflächen, allen Fingern inklusive Daumen und über die Handgelenke. Die Bewegung sollte ähnlich sein, wie wenn man Handcreme einarbeitet, dann erreicht man wirklich alle Stellen. Das dauert insgesamt etwa 20 Sekunden. Es stimmt, viele machen es nicht korrekt, aber trotzdem ist schlechte Handhygiene immer noch besser als gar keine. Man muss auch keine Sorge haben, dass die Haut dadurch austrocknet, in fast allen Desinfektionsmitteln sind Pflegeprodukte drin, die das verhindern.
STANDARD: Kann man nicht einfach Hände waschen?
Culen: Es gibt Studien, die zeigen, dass Händewaschen mit Seife, wenn man das mehrmals täglich macht, sogar schlechter ist für die Haut als Desinfektionsmittel. Es gibt unter den Hygienikerinnen und Hygienikern eine goldene Regel: Im Alltag, wenn man selbst nicht krank ist oder nicht mit ansteckenden Krankheiten in Berührung kommt, ist Händewaschen mit Seife absolut ausreichend. Aber sobald man in ein Krankenhaus oder in eine Pflegeeinrichtung geht oder mit vulnerablen Personen in Kontakt tritt, ist Händedesinfektion selbstverständlich. Man weiß ja nie, wer einen ansteckenden Keim in sich trägt oder wer gerade gefährdet ist, sich zu infizieren. Man schaut ja auch links und rechts, bevor man über die Straße geht, oder schnallt sich an, wenn man in ein Auto einsteigt.
Diese Regel gilt übrigens für alle, selbstverständlich auch für das gesamte medizinische Personal. Es ist sogar in der Menschenrechtscharta der WHO verankert, dass ein Patient oder eine Patientin das Recht hat, nachzufragen, ob die Hände desinfiziert wurden. In Mitteleuropa scheint das nicht so vordergründig zu sein, weil wir generell einen sehr hohen Grundstandard an Hygiene haben. Trotzdem sterben zwischen 4.500 und 5.000 Personen allein in Österreich an einer Infektion im Krankenhaus, das sind etwa zwölfmal so viele Menschen, wie es Verkehrstote gibt. Oder 14 mit Menschen volle Jumbojets, die abstürzen. Das zeigt, wie viel Potenzial in einer besseren Hygiene drinsteckt. Und in der Dritten Welt ist Desinfektion die einzige präventive Maßnahme, die durchgeführt werden kann.
STANDARD: Es gibt zu in Krankenhäusern erworbenen Infektionen keine Dokumentationspflicht. Wie merkt man, dass man betroffen ist? Das sind ja doch einige.
Culen: Ja, viel mehr, als den meisten bewusst ist. Wenn ich Menschen erzähle, dass ich mich beruflich um die Verbesserung der Krankenhaushygiene kümmere, finden viele das zuerst unspektakulär. Aber dann wird ihnen bewusst, dass sie auch jemanden kennen, der oder die nach einem Routineeingriff eine Infektion bekommen hat. So passiert es nämlich meistens. Ein guter Teil der Menschen kommt ja ins Krankenhaus wegen einer akuten Verletzung oder wegen eines Routineeingriffs, wie eines neuen Knies. Dann kommt es ganz unerwartet zu einer Wundinfektion, die sich bis zu einer Sepsis entwickeln kann. Typisch ist auch ein Harnwegsinfekt durch einen Katheter. Oder man bekommt eine Lungenentzündung.
STANDARD: Was kann man dagegen tun?
Culen: Es gibt Spitäler, von denen wissen wir, dass Desinfektion eine sehr hohe Priorität hat, in denen kommt es zu messbar deutlich weniger Infektionen als in anderen Krankenhäusern. Wir fordern deshalb eine bundesweite Dokumentationspflicht für im Gesundheitssystem erworbene Infektionen. Derzeit sind wir auf Schätzungen und Hochrechnungen aus dem europäischen Gesundheitssystem angewiesen. Wir wissen nicht genau, wie viele Spitalsinfektionen passieren, geschweige denn wie viele davon tödlich enden. Wir wissen aber, dass viele Infektionen nicht oder unzureichend dokumentiert werden. Mit Peter Klimek und dem Complexity Science Hub haben wir Krankheitsverläufe bei dokumentierten Fällen mit vermuteten, aber undokumentierten Infektionen verglichen. Und da ist deutlich geworden, dass die Verläufe sehr ähnlich waren. Daraus kann man nur schließen, dass viele Fälle einfach nicht dokumentiert werden.
STANDARD: Wen betreffen solche Krankenhausinfektionen vor allem?
Culen: Das kann im Grunde jede Person treffen. Gerade wenn man eine offene Wunde hat und die mit einem Keim kontaminiert wird, kann das passieren. Die Todesfälle aufgrund solcher Infektionen betreffen verstärkt ältere und multimorbide Personen, deren Immunsystem ohnehin schon geschwächt ist. Dabei wäre es so einfach, viele Fälle zu verhindern. Dadurch entsteht ja nicht nur enorm viel persönliches Leid, es ist auch gesundheitspolitisch relevant. Diese vermeidbaren Krankenhausaufenthalte binden Kapazitäten und belasten Ärztinnen und Pfleger, die ohnehin schon am Limit sind, zusätzlich. Und es verstärkt das Antibiotikaproblem weiter.
STANDARD: Was haben Antibiotika mit Krankenhausinfektionen zu tun?
Culen: Diese Infektionen werden mit Antibiotika behandelt. Und je mehr davon man einsetzt, desto wahrscheinlicher entwickeln sich Resistenzen. Denn die Pathogene sind lernfähig, nimmt man Antibiotika nicht richtig ein, lernen sie trotz dieses Mittels zu überleben. Bei einer nächsten Gabe hilft es dann nicht mehr. Deshalb ist Disziplin bei der Einnahme extrem wichtig.
STANDARD: Wie nimmt man Antibiotika richtig ein?
Culen: So wie es auf der Packung steht beziehungsweise vom Arzt verschrieben wird. Und wenn es einem schon besser geht, soll man trotzdem die gleiche Dosis weiternehmen, wie es angeordnet wurde. Sonst verbleiben nämlich Restpathogene im Körper, und die lernen dann, wie sie die Wirkung eines Antibiotikums umgehen können. (Pia Kruckenhauser, 5.5.2023)