Heute, Freitag, kündigt sich für die pandemiegeplagte Nation endlich einmal eine erfreuliche Nachricht an: Ab 11 Uhr wollen Vertreter von Bundesregierung, Ländern, Gemeinden und Sozialpartnern in der eingerichteten “Öffnungskommission” über die stufenweise Lockerung des Lockdowns beraten.
Im Vorfeld hatte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bereits angekündigt, dass es ab Mitte Mai zu einem breiten Öffnungsschritt in allen Bereichen – von der Gastronomie bis zum Tourismus, von Kulturveranstaltungen bis zu Sportevents – kommen werde. Als Sicherheitsmaßnahme sind verpflichtende Zugangstests geplant. Wie dem STANDARD in Regierungskreisen inoffiziell bestätigt wurde, wird als Stichtag der 19. Mai angepeilt. Die Beschlüsse der Regierung sollen am frühen Nachmittag feststehen.
Aus Wien kommen jedenfalls eher zurückhaltende Signale: Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) werde “mit einer sehr vorsichtigen Linie” in die Gespräche gehen, heißt es. Verwiesen wird dabei auf Stimmen von Experten, die sagen, dass schwer einzuschätzen sei, welche Schritte im Mai wirklich möglich sein werden.
Ein Überblick über das, was zu erwarten ist
- Kultur und Freizeit: Angekündigt wurde von der Regierung, dass auch Kultur- und Sportveranstaltungen wieder möglich sein sollen. Klar ist auch, dass es Personenobergrenzen geben wird, offen ist, wie hoch diese sein werden. Außerdem werden Präventionskonzepte erstellt werden müssen, Zutrittstests gelten ebenfalls als fix.
- Hotels und Gastronomie: Nach einem halben Jahr unfreiwilliger Pause sollen auch diese beiden Bereiche wieder öffnen. Was die Gastronomie angeht, so läuft bereits ein Testlauf in Vorarlberg: Dort ist sie offen, es gelten aber Sicherheitsauflagen, etwa eine FFP2-Masken-Pflicht, eine Testpflicht und Personenobergrenzen. Orientiert man sich bundesweit an den dortigen Regeln, so werden pro Tisch vier Personen aus zwei Haushalten plus Kinder erlaubt sein. Knackpunkt ist – und war auch bei vergangenen Regeln – die Sperrstunde: In Vorarlberg gelten nächtliche Ausgangsbeschränkungen, damit muss die Gastro um 20 Uhr zusperren. Fallen diese Ausgangsbeschränkungen, wäre auch eine spätere Sperrstunde denkbar, im Vorfeld der Verhandlungen war eine Sperrstunde um 22 Uhr angedacht.
- Ausgangsbeschränkungen und Kontakte: Bundesweit gelten bis wohl 5. Mai nächtliche Ausgangsbeschränkungen. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) stellte in den Raum, dass sie danach nicht mehr verlängert werden. Offen ist, welche Obergrenzen dann für private Treffen eingeführt werden, derzeit gilt ja in den meisten Teilen des Landes, dass vier Personen aus zwei Haushalten und sechs Kinder zusammenkommen dürfen.
- Handel: Der öffnet in Wien und Niederösterreich am 3. Mai, im Rest des Landes ist er ohnehin offen. Zutrittstests für den Handel waren lange im Gespräch, wurden vom Bundeskanzler aber ausgeschlossen. Nachdem eine Gesetzesänderung, die das möglich machen würde, Ende Mai in Kraft treten könne, sind Zutrittstests im Handel für das Gesundheitsministerium aber nicht endgültig vom Tisch.
- Tests: Die Zutrittstests werden ausgeweitet, für Gastronomie und Kultur wird man aller Erwartung nach einen negativen Corona-Test brauchen. Ausgenommen sind, das ist schon fix, Personen, die in den letzten sechs Monaten eine Corona-Infektion hatten. Sollten auch Ausnahmen für geimpfte Personen kommen, wäre das eine Überraschung – das ist von der Regierung zwar gewünscht, doch über die gesetzliche Grundlage dafür läuft seit Monaten ein Gezerre mit der Opposition. Daher wird auch der “Grüne Pass” wohl erst Ende Mai als Eintrittskarte genützt werden können.
In Vorarlberg werden zum Teil auch Selbsttests akzeptiert, das wäre auch für den Rest des Landes denkbar. Schon jetzt können ja auch in Teststraßen Selbsttests durchgeführt werden, die dann behördlich anerkannt sind, außerdem gibt es digitale Lösungen für Tests, die man daheim durchführt. Verhandelt wurde bis zuletzt, in welchen Bereichen Selbsttests gelten sollen und wie genau man das ausgestalten werde.
- Schulen: In Wien und Niederösterreich sind Schülerinnen und Schüler seit Ostern zu Hause, da sollen die Schulen am Montag wieder öffnen – vorerst in Volksschulen an fünf Tagen pro Woche, die älteren gehen in den Schichtbetrieb. So ist das derzeit auch im Rest des Landes. Am Unterricht teilnehmen darf außerdem nur, wer regelmäßig einen Corona-Test macht. Ab 17. Mai könnten im Zuge der Öffnung alle Schülerinnen und Schüler wieder in den Präsenzunterricht gehen, Details dazu erarbeitet das Bildungsministerium.
- Regionalität: Angekündigt hatte die Regierung, dass diese Öffnungen bundesweit geschehen. Zuvor müssen freilich Wien und Niederösterreich, die ja noch in der verlängerten Osterruhe sind, aus dem Lockdown raus. Das wird aller Erwartung nach am 3. Mai passieren – so lange ist auch die Verordnung für diese Gebiete noch in Kraft. Doch vor allem Wien konnte sich zuletzt Öffnungsschritte auf allen Ebenen gleichzeitig nicht vorstellen. Als besonderer Problemfall könnte sich außerdem Tirol entpuppen.
Fluchtmutation als Spielverderber
Denn neues Ungemach trübt die Aufbruchsstimmung. In Tirol greift eine neue Variante des Virus um sich, die als eine sogenannte “Fluchtmutation” gilt. Die ohnehin infektiösere “englische” Mutation habe an der Oberfläche eine Veränderung durchgemacht, die Antikörpern die Bekämpfung erschwere, erläuterte der Virologe Andreas Bergthaler im Ö1-“Morgenjournal”. Impfungen könnten somit weniger wirksam sein.
Die bisherigen Erkenntnisse aus den Labors suggerierten, dass die Antikörper, die das Virus töten sollen, in diesen Fällen um das Sechs- bis Zehnfache weniger effektiv sind, erläuterte der am Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Akademie der Wissenschaften tätige Experte, warnt aber vor voreiligen Schlüssen: “Was das genau in der Wirklichkeit heißt, ist schwierig umzulegen.” Hinweise, dass die Mutation noch schwerere Krankheitsverläufe auslösen könnte, gebe es hingegen nicht.
Was die Forscher vorerst vor ein Rätsel stellt: In anderen Ländern ist die Kombination aus englischer Variante und Fluchtmutation – Fachbezeichnung B1.1.7+E484K – versandet. Warum sie sich in Tirol hingegen offenbar gut ausbreitet, wisse man nicht wirklich, sagt Bergthaler
Nicht absehbar, was der Mai erlaubt
Sind die geplanten Öffnungen vor diesem Hintergrund zu verantworten? Die Regierung solle mit vorausschauender Vorsicht agieren, empfiehlt er: Auf der Autobahn fahre man auch nicht mit Standlicht, sondern mit dem weitreichenden Fernlicht. Die “Erfolgsgeschichte” des Impfens dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden, soll heißen: Trotz steigender Durchimpfungsrate sollten die Infektionszahlen niedrig gehalten werden, um die Ausbildung derartiger Fluchtmutationen einzudämmen.
Ähnliches rät Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna. Die Regierung solle ähnlich wie bei den Lockerungen nach dem ersten Lockdown vor einem Jahr auf Sicht fahren. Welche Öffnungsschritte Mitte Mai wirklich möglich sein werden, lasse sich jetzt noch nicht seriös einschätzen, warnt er via Ö1: “Man darf jetzt einfach keinen Frühstart hinlegen.” (Gerald John, Vanessa Gaigg, Gabriele Scherndl, 23.4.2021)