Austausch in der Coronazeit
Warum wir wissen sollten, wie Kommunikation funktioniert.
Von Stefan Thurner
Das Beste, was die Gesellschaft zu bieten hat – die Demokratie basiert auf einer permanenten Kompromissfindung zwischen Menschen, Gruppen, Interessen und Weltanschauungen. Jede Kompromissfindung basiert auf Kommunikation. Um die Vielzahl von Interessen in einer Gesellschaft unter einen Hut zu kriegen, haben wir Hilfsmittel entwickelt wie das Parlament, Foren aller Art, Vereine, Gasthäuser oder Medien. Diese Kommunikationsmittel sind zentrale Säulen der Zivilgesellschaft und ermöglichen Kommunikation unter weiten Teilen der Bevölkerung.
Verändert sich diese Kommunikation, verändert sich alles. Und wir erleben gerade eine dramatische Veränderung der Kommunikation, in der die klassischen Kommunikationskanäle durch neue abgelöst werden, allen voran Smartphone und Social Media. Es wäre daher interessant zu wissen, wie Kommunikation funktioniert – womit man unweigerlich bei Paul Watzlawick landet, der in den 1960er-Jahren zwischenmenschliche Kommunikation mit einer konstruktivistischen Sichtweise wissenschaftlich zu verstehen suchte.
Wie funktioniert Kommunikation?
Watzlawicks berühmte fünf Axiome der Kommunikation” – das bekannteste wohl: Man kann nicht nicht kommunizieren – sind fünf scharfsinnige Beobachtungen, wie Kommunikation in kleinen Gruppen abläuft, etwa in Familien.
Seit damals hat sich viel getan. Erst seit Mitte der 2000er-Jahre verstehen wir dank Telekomdaten, wie die Kommunikationsnetzwerke des Homo sapiens in großen Gruppen wie z. B. Staaten aussehen. Wir nähern uns einem Verständnis, wie die erstaunliche Stabilität großer Gesellschaften aus den Netzwerkstrukturen in den Kommunikations- und Beziehungsnetzwerken entsteht. Systemische – also gesellschaftsweite – Auswirkungen der Kommunikation werden erstmals sichtbar und verstehbar.
Mit Big Data und neuen mathematischen und statistischen Methoden wie Machine Learning erfährt die Sozialwissenschaft derzeit einen gewaltigen Entwicklungsschub: die Computational Social Science. Sie kann Watzlawicks Ideen erstmals empirisch prüfen und nicht nur seine Ideen im großen Stil testen, sondern auch so erweitern, dass idealerweise eine Theorie Voraussagen über Kommunikation auch in großen Gruppen ermöglicht.
Wozu verstehen?
Ein Ziel einer solchen Theorie wäre unter anderem zu verstehen, was die Auswirkungen der gegenwärtigen Veränderungen im Kommunikationsverhalten auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind. Warum polarisiert die Gesellschaft? Wie schnell polarisiert sie? Wieso fragmentiert sie zunehmend in sogenannten “Filterbubbles” und wieso entstehen Parallelgesellschaften?
Polarisierung bedeutet, dass sich zwei oder mehr Lager bilden, die sich zunehmend voneinander abgrenzen; Fragmentierung heißt, dass sich tausende Gruppen bilden, deren Mitglieder untereinander kooperieren, die anderen” jenseits der eigenen Bubble aber nicht schätzen oder verstehen (wollen). In einer Parallelgesellschaft fühlen sich zehntausende, manchmal hunderttausende Menschen der Gesellschaft” nicht mehr zugehörig und beginnen allmählich, staatsähnliche Strukturen innerhalb des Staates aufzubauen, wie es etwa bei arabischen Clans in Berlin, Bremen oder Stockholm derzeit beobachtet wird.
Allen diesen Tendenzen ist gemeinsam, dass aufgrund der Lagerbildung die Kommunikation auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr funktioniert. Das gefährdet die Kompromissfindungsfähigkeit – und damit die Demokratie.
Während bei Watzlawicks kleinen Gruppen nicht nicht kommuniziert werden kann, ist das in großen Gruppen freilich anders: Sehr wohl kann man dort die Kommunikation einstellen. Mithilfe der neuen Kommunikationsmittel geht das sogar einfach, Stichwort “Entfreunden” oder Ghosting.
Wissenschaftliche Beiträge zu diesem Thema aus der Küche des Complexity Science Hubs liefern quantitative Indizien, dass Polarisierung in den letzten Jahren tatsächlich zunimmt, und eine Erkenntnis, die den Fragmentierungsvorgang eventuell erklärt. Wir konnten zeigen, dass je leichter Kommunikationspartner gewechselt werden können, die Gesellschaft umso mehr Gefahr läuft, in Filterblasen zu fragmentieren. Es gibt sogar einen Schwellwert, ab dem die Gesellschaft schlagartig fragmentieren muss: Es existiert also ein Tipping Point für den Kollaps der Zivilgesellschaft. Wir können also einen direkten Zusammenhang zwischen der Veränderung der Kommunikationsmittel und der Bildung von Filterblasen durch das Verschwinden von Kommunikations-Brücken in der Gesellschaft herstellen. Können wir auch erklären, wie die Pandemie auf das Kommunikationsverhalten zwischen Gruppen wirkt? Oder wie das Kommunikationsverhalten auf die Pandemiebekämpfung wirkt? Nein, davon sind wir weit entfernt.
Pandemie: Polarisierung durch Stress
Aber wir erleben derzeit anschaulich ein Beispiel für Polarisierung anhand der Impfung der österreichischen Bevölkerung. Es bilden sich zwei Lager, die sich zunehmend voneinander abgrenzen, einander immer weniger verstehen, sich sogar anzufeinden beginnen – und den Kommunikationsprozess abbrechen. Auf der einen Seite stehen Menschen mit Impf-Ängsten, Ablehnung der Regierung und Schwierigkeiten, Fakten von Falschinformation zu unterscheiden; auf der anderen Seite Menschen mit wachsendem Unverständnis gegenüber einer Gruppe, die nicht begreift, dass die Impfung das Problem der Pandemie für alle löst – aber nur, wenn sich fast alle impfen lassen. Dazwischen agieren Politiker, die ihrer demokratischen Rolle gemäß einerseits für die Kompromissfindung verantwortlich sind, andererseits nicht verstehen (wollen), dass eine Pandemie einer der wenigen Ausnahmezustände ist, in denen Kompromisse nicht zielführend sind, sondern Leid drastisch vermehren können.
Wege, hier noch Brücken zwischen den Gruppen zu bauen, sind in Österreich offenbar noch nicht gefunden. Dass bei dem Thema eine deutlich geringere Polarisierung möglich wäre, zeigen die Impfraten von über 86 Prozent etwa in Portugal (Österreich: im September 61 Prozent).
Wenn es nicht mehr funktioniert
Was, wenn Kommunikation in großen Gruppen nicht mehr funktioniert? Wenn Kommunikation wegen Polarisation und Fragmentierung nicht mehr alle Gruppen erreicht, funktioniert die Idee der Demokratie nicht mehr. Das ist betrüblich, vor allem in Anbetracht der Herausforderungen durch die Klimakrise, gegen die die Pandemie ein sprichwörtliches Lärcherl ist. Wenn eine Impfung mit dem simplen Zusammenhang: Impfen – Problem gelöst, bereits derart polarisiert, dass der Pandemie praktisch nicht mehr auf rationaler Basis begegnet werden kann, was bedeutet das für Zeiten mit hohem sozialen Stress durch Klimakatastrophen und wirklich radikale Maßnahmen zur Dekarbonisierung? Welche Auswirkungen hat das auf die Konsensfähigkeit und Entscheidungsfindung?
Diese riesigen Herausforderungen – Klimakrise und möglicher Zerfall der Zivilgesellschaft – hängen unmittelbar zusammen. Klimaänderungen erhöhen den Stress auf die Gesellschaft, Stress in der Zivilgesellschaft verzögert echte Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise. Selbst eine bestmöglich gemeisterte Dekarbonisierung wird Verlierer produzieren. Den durchaus abstrakten Zusammenhang zu kommunizieren, dass Verluste und Verhaltensänderungen nötig sind – und nicht nur kleine Nadelstiche – um die Transformation zu schaffen, wird eines nie dagewesenen Meisterstücks der Kommunikation auf globaler Ebene bedürfen.
Um das zu schaffen, müssen wir unser Verständnis drastisch verbessern, wie ungleich kompliziertere und weniger augenscheinliche Sachverhalte zu kommunizieren sind als die für die Pandemiebekämpfung notwendigen. Und das alles unter erheblichem Zeitdruck: Die Wende muss in den nächsten zwei Jahrzehnten vollzogen sein – ebenfalls betrüblich.
Wir haben wissenschaftlich verstanden, dass die neuen Kommunikationsmittel wie Internet, Smartphone, neue Medien und Blockchain Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt darstellen können. Zu wenig verstanden ist noch, wie wir diese fantastischen Kommunikationsmittel verwenden können, um Kommunikation in großen Gruppen in einer Weise zu verbessern, dass die notwendigen Entscheidungen faktenbasiert getroffen werden und Verschwörungstheorien und Aberglaube verschwinden. Hier mehr Wissen zu haben, wäre von Vorteil – denn kommunizieren werden wir müssen.