Eh scho alles wurscht? – Seite 1

 

Wer in den vergangenen Monaten den Krisenmanagern der Republik zugehört hat, könnte meinen, sie seien machtlos. Die Bevölkerung habe es satt, sie wolle keinen Lockdown mehr, sondern das normale Leben zurück, und deshalb mache sie bei den Corona-Maßnahmen nicht mehr mit. Das sagen Minister, das sagen die Landeshauptleute, das sagt der Kanzler.

“Die Menschen haben sich immer weniger dran gehalten”, rechtfertigte Sebastian Kurz schon im Februar die Entscheidung, trotz hoher Infektionszahlen keine schärferen Maßnahmen zu verhängen. “Ein Lockdown, wo keiner mitmacht, der hat natürlich auch wenig Sinn.” Das war auch das schlagende Argument dafür, dass sich Bund und Länder zuletzt nur auf einen Mini-Lockdown über die Osterfeiertage in den östlichen Bundesländern durchringen konnten.

 

Die Intensivstationen sind zwar voll, aber wenn keiner mehr will, was soll man dann machen?

 

Am Wochenende versuchte der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober die Bevölkerung dann mit einem eindringlichen Appell zur Vernunft zu bringen: Der Lockdown in Wien, Niederösterreich und im Burgenland gelte zwar erst ab Donnerstag, doch die Menschen sollten bitte sofort freiwillig Maßnahmen ergreifen.

Tatsächlich sind nicht nur die Zahl der Infektionen gewachsen, sondern auch der Bewegungsradius der Bevölkerung: Ist die Mobilität im ersten Lockdown vor einem Jahr noch um 70 Prozent zurückgegangen, sind es heute nur noch 20 bis 25 Prozent weniger im Vergleich zur Zeit vor Corona. Aus einer Umfrage des Wiener Sora-Instituts aus diesem März geht zudem hervor, dass immer weniger Österreicherinnen und Österreicher an die wissenschaftliche Grundlage der Maßnahmen glauben: Voriges Jahr waren es noch 58 Prozent der Befragten, heuer sind es nur mehr 48 Prozent. Fast die Hälfte gab bei der Umfrage zudem an, sich nicht mehr auszukennen, welche Regeln gerade überhaupt gelten. Und vor einem Jahr sahen 60 Prozent den Lockdown als notwendig an, derzeit sind es 53.

Auch die Verstöße gegen die Corona-Regeln nehmen zu. Verhängte die Polizei im Dezember durchschnittlich 449 Anzeigen und Organstrafen pro Tag, waren es im März 590.

Quelle: Kreis- und Landesbehörden, RKI, eigene Berechnungen. Johns-Hopkins-Universität (JHU). Die internationalen Fallzahlen sind nur eingeschränkt vergleichbar, weil die Daten in verschiedenen Ländern unterschiedlich erhoben werden und nicht überall ausreichend getestet wird.

Wer wissen will, unter welchen Umständen sich jemand an Regeln hält oder sie bricht, kann Katharina Gangl fragen. Die Wirtschafts- und Sozialpsychologin arbeitet am Wiener Institut für Höhere Studien und ist international bekannt für ihre Forschungen zu Rechtsbefolgung.

 

“Eine Vertrauenskrise in das Krisenmanagement der Politik”

 

“Eigentlich sind die Menschen in Österreich besonders obrigkeitshörig”, sagt sie. “Das haben wir auch während des ersten Lockdowns vor einem Jahr ganz deutlich bemerkt: Man hat getan, was die Regierung gesagt hat.” Dass die Stimmung nun eine andere ist, hat laut Gangl vor allem eine Ursache: Vertrauensverlust.

Seit März 2020 ist das Vertrauen in die Regierung kontinuierlich gesunken. Einer Umfrage der Universität Wien zufolge gaben damals noch 67 Prozent der Befragten an, großes Vertrauen zu haben – im Jänner dieses Jahres waren es nur noch 28 Prozent. “Wenn das Vertrauen in die Entscheidungsträger groß ist, dann wird eine Regel auch eingehalten”, sagt Katharina Gangl. “Wenn es aber sinkt, dann wird auch die Sinnhaftigkeit der Regeln hinterfragt.”

 

Ist die Regierung also wirklich so machtlos, wie sie sich gibt? “Natürlich nicht”, sagt Katharina Gangl. “Es ist zwar besonders schwierig, Vertrauen zurückzugewinnen, wenn es einmal zerstört worden ist – aber es ist möglich.” Doch ständig zu behaupten, dass man bestimmte Regeln nicht mehr einführen könne, weil sie ja eh keine Wirkung mehr hätten, mache die Sache nicht besser. Im Gegenteil: “Wenn die Politiker den Eindruck vermitteln, dass sie selbst nicht mehr dran glauben – warum soll ich das dann noch tun?”

In diesen Tenor steigt auch Barbara Prainsack ein. Sie ist Politologin und sitzt im Forschungsteam des Austrian Corona Panel Project der Universität Wien, das seit März 2020 regelmäßig die Stimmungslagen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung in der Pandemie abfragt. “Die meisten Menschen wissen, dass die Lage ernst ist. Sie glauben nur, dass sie durch die Einhaltung der Maßnahmen nichts Positives beitragen können”, sagt Prainsack. Da würden auch keine Appelle des Gesundheitsministers helfen. “Was wir gerade sehen, ist eine Vertrauenskrise in das Krisenmanagement der Politik.”

Die Stimmung, sagt Prainsack, sei im vergangenen Sommer gekippt. “Die Menschen hatten nicht mehr das Gefühl, dass die Regeln fair und effizient sind.” Hinzu sei gekommen, dass sich einige Menschen bestimmte Maßnahmen wie die Quarantäne nicht mehr leisten konnten. Familien mit mehreren Kindern etwa, die zum Teil drei Wochen zu Hause saßen, Frauen, die die Mehrfachbelastungen nicht mehr aushalten, oder Leute, die Angst vor einer Kündigung haben. “Wenn wir wollen, dass die Menschen die Maßnahmen mittragen, dann muss man jene, die es besonders schwer haben, besser unterstützen”, sagt Prainsack.