Viele Covid-Maßnahmen waren nicht evidenzbasiert
Gesundheit.Österreich hat keine Tradition, Daten für die Forschung mit zu erheben. Das rächt sich in der Krise.
VON ULRIKE WEISER Wien.
Wie vermisst man eine Pandemie? In den vergangenen Monaten hat sich die österreichische Öffentlichkeit angewöhnt, auf Kennzahlen zu blicken. Die Zahl der Neuinfektionen. Der Tests. Der Intensivpatienten. Doch diese Zahlen zeigen nur die Oberfläche der Daten, nicht ihr wahres Gesicht.
Beispiel Neuinfektionen (oder korrekter: neu entdeckte Infektionen). Man weiß, wie viele infiziert sind, aber nicht wer. Junge oder Alte? Gesunde oder Menschen mit Vorerkrankung? Ebenso ist es bei den Tests. Man kennt die Summe, weiß aber nicht, warum getestet wurde. Handelt es sich um Routine-Checks in Betrieben? Um Cluster in Haushalten? Oder um Fälle, die über die Nummer 1450 erkannt werden und deren Kontext man nicht kennt? Auch die Auslastung der Intensivbetten für Covid-Patienten sagt weniger als man denkt. Bleibt sie stabil, kann das heißen, dass dieselben Patienten wochenlang dort liegen. Oder aber, dass es Zu- und Abgänge in gleichem Ausmaß gibt. Thomas Czypionka, Forscher mit Czypionka, SchwerpunktGesundheitssystem am Institut für Höhere Studien, könnte die Liste mit solchen Beispielen lang fortsetzen. Das Problem sei, sagt er, dass wir im Gesundheitssystem oft nur statische Daten abbilden, also nur Ergebnisse, aber nicht den Weg dorthin.” Was fehlt sind Fluss-Informationen”.
Diese entstehen typischerweise, indem man Daten verknüpft. Um Covid- Krankheitskarrieren” sichtbar zu machen, müsste man Daten aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS), das Alter, Geschlecht und Herkunft erfasst, mit individuellen klinischen Daten von Erkrankten aus dem Spital, aber auch im niedergelassenen Bereich verbinden, erklärt er. Wobei Letztere freilich pseudonymisiert oder anonymisiert wären. Insofern ist es zwar ein Fortschritt, wenn Forscher – wenn auch erst nach einem offenen Brief an das Gesundheitsministerium, in dem man sich über das Datenangebot beschwerte – seit dieser Woche Zugang zum EMS erhalten. Aber es reicht nicht. Denn: Das EMS ist gar nicht ausgelegt, um eine Pandemie zu bewältigen”, sagt Czypionka.