„Was passiert, wenn es eng wird?“

BARBARA TÓTH
POLITIK, FALTER 20/20 VOM 12.05.2020

Im Corona-Krisenstab der Regierung, angesiedelt im Innenministerium, lief die Operation unter dem Schlagwort „Ernten der Früchte“. Am 23. März dieses Jahres, genau eine Woche nach dem kompletten Herunterfahren des Landes, landeten zwei Boeing-Triple-Seven-Langstreckenmaschinen der Austrian Airlines aus Xiamen, China, in Wien-Schwechat. An Bord: 130 Tonnen Schutzausrüstung, darunter 1,5 Millionen medizinische Schutzmasken und 450.000 Schutzanzüge. Einer der Piloten war Ex-Ö3-Star Hary Raithofer. Die Aktion war ein großer PR-Erfolg, der Boulevard jubelte. „Kurz holt 130 Tonnen Schutzkleidung“, titelte das Gratisblatt Österreich. „Ex-Ö3-Star ein Held der ‚Corona-Luftbrücke‘“, schrieb die Kronen Zeitung.

Was die österreichische Regierung nicht so offensiv kommunizierte: Die Schutzausrüstung war gar nicht für Österreich bestimmt, sie war vom Südtiroler Unternehmen Oberalp organisiert, bestellt und bezahlt worden, die AUA flog sie als Nachbarschaftshilfe, das Bundesheer transportierte sie weiter nach Südtirol, wie auch Hary Rait­hofer auf Facebook postete.

Im Nachhinein stellte sich auch noch heraus, dass die Masken nicht den ursprünglich erhofften medizinischen Sicherheitsstandards entsprachen.

Den Krisenmanagern der Regierung war aber vor allem eines wichtig: Die Operation „Ernten der Früchte“ sollte ja nicht als „österreichisches Hilfeersuchen“ oder „Hilfsangebot Chinas“ rüberkommen, sondern als Geste des Dankes des Reichs der Mitte an Österreich, heißt es in der internen „Agenda“-Liste des Krisenstabes.

Ein nationaler Krisenstab, der sich um die Inszenierung von Masken-Hilfsflügen kümmern muss?

Das ist nur einer von vielen Einblicken, die neue, nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Dokumente aus dem Innen- und Gesundheitsministerium in das Corona-Krisenmanagement der Regierung geben. Schon vor zwei Wochen sorgte ein an die Medien gelangtes geleaktes Gesprächsprotokoll aus dem Beraterstab von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) für Schlagzeilen. Darin fand sich belegt, was politische Beobachter seit Wochen kritisieren: dass Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Implementierung der Maßnahmen auf die Strategie „Gehorsam durch Angst“ statt auf Aufklärung und Hausverstand setzte und dem Volk am Ende auch Einkommensverluste, wirtschaftlichen Schaden und Arbeitslosigkeit zumutete.

Mit den neuen, dem Falter vorliegenden Dokumenten lässt sich nun dokumentieren, wie umstritten Kurz’ Corona-Strategie innerhalb der Expertenschaft, die die Regierung berät, war. Sie decken die sicherheitspolitische Sorglosigkeit auf, die seit Jahren das nationale Krisenmanagement prägt. Sie dokumentieren die daraus folgende Hektik und Improvisation nach der Vollbremsung des öffentlichen Lebens am 16. März.

Und sie machen nachvollziehbar, wie die Regierungsspitze in diesen traumatischen, von den schrecklichen Bildern aus norditalienischen Spitälern dominierten Tagen im März die Ratschläge ihres eigenen Netzwerkes der Expertise der wissenschaftlichen Berater und Beamtenschaft vorzog.

Kanzler Kurz etwa hörte auf den israelischen Premier Benjamin Netanjahu. Erst eine Telefonkonferenz mit ihm und mehreren EU-Premiers am 9. März habe ihn „wachgerüttelt“ und den Ernst der Corona-Krise erkennen lassen. Netanjahu und sechs weitere Premiers sind es auch, mit denen Kurz sich jetzt als „Smart Movers“ in Sachen Corona inszeniert.

Die vom Falter eingesehenen Unterlagen stammen aus den beiden wichtigsten Krisengremien des Landes (siehe auch Marginalie). Das ist zum einen der wissenschaftliche Beraterstab der „Taskforce Corona“ im Gesundheitsministerium, Rudolf Anschobers Expertenforum, in dem Virologen, Epidemiologen, Public-Health-Experten und Mediziner sitzen. Ihre ersten vier Treffen zwischen 28. Fe­bruar und 12. März liegen dem Falter in Ergebnisprotokollen vor.

Weitere, umfangreiche Unterlagen stammen aus dem „SKKM Koordinationsstab Sars-CoV-2/Covid-19“ im Innenministerium. Das Kürzel SKKM steht für „Staatliches Krisen- und Katastrophenmanagement“. In diesem Koordinationsausschuss sind die fünf entscheidenden Ministerien (Inneres, Äußeres, Landesverteidigung, Gesundheit und Kanzleramt), alle Bundesländer, die Einsatzorganisationen und der ORF vertreten. Sie sollten vorausschauend agieren und im Ernstfall dafür sorgen, dass Österreichs Behörden und kritische Infrastruktur auch unter extremeren Bedingungen weiter funktionieren. Die ersten Papiere aus diesem Krisenstab, die der Falter sichtete, datieren vom 28. Februar – dem Tag, an dem die Apparate in den Ministerien ernsthaft beginnen, sich für die Corona-Krise zu rüsten. Die letzten von Montag dieser Woche.

Sie zeigen: Die Warnungen der Gesundheitsexperten vor Engpässen bei Schutzausrüstung und Tests wurden viel zu spät aufgegriffen. Die Strategie des nationalen Krisenstabs – er setzte auf Kontrollen und „Cocooning“, also Isolation und Absonderung kranker Personen in „zentralen Unterbringungen“ wie Kasernen – wurde gar nicht oder nur wenig berücksichtigt.

Wenn diese Experten- und Krisengremien nicht die Grundlage für die politischen Entscheidungen der Corona-Krise lieferten, wer war es dann? Auf Basis welcher Evidenz wurden die wohl folgenreichsten politischen Entscheidungen der letzten 50 Jahre getroffen? Wer hat was wann in den Tagen vor dem Lockdown am 16. März, der Geschäfte, Lokale, Schulen, Kindergärten, den Verkehr und das private Leben einfror, besprochen, abgewogen, verworfen und letztlich entschieden? Es waren historische Tage, die Ergebnisprotokolle, Lageberichte und Morgenbriefings sind zeitgeschichtliche Dokumente von öffentlichem Interesse.

Freitag, 28. Februar, 12.30 Uhr. Was der Beraterstab der Taskforce Corona im Gesundheitsministerium in den nächsten drei Stunden besprechen wird, nimmt vieles vorweg, was Österreich im März große Sorgen bereiten sollte. Die erfahrenen Mediziner, Virologen und Epidemiologen sehen die Ressourcenfrage als zentrales Thema. Es muss schnellstmöglich definiert werden, was passiert, wenn „es eng wird“.

Es geht um die Knappheit von Tests und Masken und um sogenannte „Standard Operating Procedures“ für Krankenhäuser. Also um die Frage, wie in den Ambulanzen mit Verdachtsfällen umzugehen ist. Die Runde ist sich einig, dass ein „striktes Containment nur in totalitären Systemen möglich ist“ und deshalb „soziale Distanzierung“ sich bisher als die „effektivste Maßnahme“ erwiesen hat. Eine Sperre von Institutionen wie der Universität könne „höchstens zwei Wochen durchgehalten werden“.

Freitag, 28. Februar, 14 Uhr: Im Innenministerium präsentiert die „Planungszelle“ des „SKKM Koordinationsstab Sars-CoV-2/Covid-19“ ihre Überlegungen. So wie die Experten in Anschobers Expertenbeirat setzen auch die Sicherheitsstrategen auf „Isolieren und Schützen“. „Die Masse der Verdachtsfälle“ soll „dezentral mittels Verkehrsbeschränkung isoliert“ werden, die „Überwachung (Bestreifung)“ soll durch die Exekutive erfolgen, solange das nicht über die „Kapazitätsgrenze“ der Polizei gehe. Wenn sich das nicht mehr ausgeht, sollen entweder andere Beamte aushelfen oder „zentrale Unterbringung“ in „Quarantäne-Unterkünften“ angedacht werden, lautet der „Vorschlag zur Entscheidung an politische Führung“.

Dienstag, 3. März, 16 Uhr: „Die Knappheit scheint jedenfalls nicht mehr vermeidbar“, heißt es gleich zu Beginn in der Sitzung des Expertenstabes des Gesundheitsministeriums. Masken, Schutzanzüge und Handschuhe sollen nur dort eingesetzt werden, wo sie wirklich notwendig sind. Die Experten überlegen, ab wie vielen Neuinfektionen pro Tag einzelne Regionen unter Quarantäne gestellt werden sollen, denn „nicht ganz Österreich müsse in eskalierter Lage sein“. Eine etablierte Infektionskette mit mehr als 50 Neuinfektionen pro Tag wäre etwa eine solche Latte, schlägt der Tropenmediziner Herwig Kollaritsch vor. Jedenfalls „müsse man sicherstellen, dass Schäden durch Maßnahmen möglichst gering bleiben“, also „wirtschaftlicher Schaden, Stigmatisierung und soziale Isolation“, hält das Protokoll als Fazit fest.

Montag, 9. März, 16 Uhr: Ischgl ist jetzt erstmals Thema im Beraterstab des Gesundheitsministeriums, die Experten sind sich einig, dass die Ausbreitung des Virus verlangsamt werden muss und die „Vulnerablen“ nun konsequent geschützt gehören. Der Leiter der Humanmedizin der Ages, der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, Franz Allerberger, hält die Maßnahmen wie Schließung von Schulen und Kindergärten für „problematisch“.

Wichtig wäre, „die Kinder von den Großeltern möglichst fernzuhalten“. Ivo Steinmetz, Vorstand des Instituts für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin der Med-Uni Graz, pflichtet ihm bei: „Ältere Menschen sollten persönliche soziale Kontakte möglichst einschränken. Die Absage von Veranstaltungen mit jungen Menschen ist gar nicht so wichtig wie der Schutz der älteren Personen.“ Rot-Kreuz-Bundesrettungskommandant Gerry Foitik drängt darauf, dass „spätestens morgen die Bevölkerung aufgerufen werden soll, persönliche Kontakte zu reduzieren“. Anschobers wichtigster Beamter im Krisenmanagement, Bernhard Benka, schlägt „Telearbeit, Onlinekurse, normale Hygienemaßnahmen“ als Sofortmaßnahmen vor. Und natürlich seien „Altersheime ein spezielles Problemfeld“. Sie alle argumentieren mehr oder weniger für das, was später als schwedischer Weg bekannt wird. Kein radikaler Lockdown, sondern kluges Risiko- und Ressourcenmanagement.

Und dann kommt das bereits bekannte Treffen am Donnerstag, 12. März, 17 Uhr, bei dem die Experten erstmals Kanzler Kurz und Vizekanzler Kogler gegenübersitzen – und aus dem Kurz das Angstmotiv mitnimmt: „Die Menschen sollen Angst vor einer Ansteckung haben, Angst davor, dass die Eltern und Großeltern sterben“, wird im Protokoll festgehalten. „Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist“, „100.000 Tote“, „Lebensgefährder“ und „Lebensretter“, das sind die Worte, die vor allem Kurz und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), aber auch Werner Kogler (Grüne) dann verwenden. Diese Eskalation der Angst kommt zu einem Zeitpunkt, als die Corona-Krise im Gesundheitssystem bereits überwunden war, am 30. März mit Einführung der Maskenpflicht in Supermärkten.

Einige der Experten sind schon zuvor nicht einverstanden mit der Krisenstrategie, ihre Bedenken bleiben jedoch meist unbeachtet. Vor allem der Public-Health-Spezialist Martin Sprenger wird in den nächsten Wochen als Kritiker der Regierungslinie auftreten, nachdem er sich aus dem Beratergremium verabschiedet hat. Kurz nennt in dieser Phase Wissenschaftler, die nicht seiner Meinung sind, „Verharmloser“. In Deutschland geben Virologen wie Christian Drosten von der Berliner Charité oder das Robert-Koch-Institut Orientierung, in anderen Ländern, etwa in Schweden, übernehmen nicht Minister und Regierungschefs, sondern die Leiter der nationalen Gesundheitsbehörden die Krisenkommunikation.

Intern wird diskutiert, wie ein Mailverkehr zeigt, der sich, kurz nachdem Kanzler Kurz am Freitag, den 13. März den Lockdown angekündigt hat, entspinnt und der dem Falter in Auszügen vorliegt. „Wir sollten versuchen, die derzeitige Sprachregelung bald zu ändern und möglichst schnell von der Botschaft ‚ganz gefährliches Virus‘ wegkommen“, warnt Ages-Experte Allerberger schon am 14. März sein Beraterkollegium. „Das Virus ist so weit verbreitet, dass alles andere dazu führen wird, alles lahmzulegen, was Kollateralschäden verursacht, die weit über Covid-19 hinausgehen. Jede Botschaft, die als ‚ganz gefährliches Virus‘ missinterpretiert werden kann, ist kontraproduktiv. Sars-CoV-2 ist für über 80 Prozent der Bevölkerung nicht gefährlich.“

Der Public-Health-Experte Martin Sprenger pflichtet ihm bei: „Derzeit fühlen sich viele junge und gesunde Menschen bedroht, obwohl für sie das Risiko, schwer zu erkranken, sehr gering ist. Im Gegensatz­ dazu negieren viele Hochrisikopersonen ihr Risiko oder halten es für sehr gering. Am wichtigsten ist das Social Distancing zwischen diesen beiden Gruppen. Das muss kommuniziert werden.“ Auch Günter Weiss, Internist und geschäftsführender Direktor der Medizinischen Universität Innsbruck, unterstützt Allerberger: „Wir müssen verhindern, dass aufgrund des Ressourcen­drives zu Covid-19 alle anderen Patienten auf der Strecke bleiben oder die ‚vulnerablen‘ Alten unterversorgt sind und dann mehr Menschen durch diese Maßnahmen zu Tode kommen als durch das Virus selbst.“

Der auf Epidemie-Simulationen spezialisierte Mathematiker Nikolas Popper rechnet vor: „Ein Minus von 50 Prozent der Freizeitkontakte der Generation 65 plus (also nicht aller Kontakte, schon gar nicht sozial und medizinisch notwendiger) führt bereits zu einer Senkung des Peaks der Severe Cases von Covid-19 von über 50 Prozent für die Gesamtpopulation – und das dürfte ja für uns die zentrale Zahl sein.“

Im Nachhinein sind alle klüger, heißt es jetzt, wenn die Sinnhaftigkeit der „Maßnahmen“ und der „politische Stil“ retrospektiv diskutiert werden. „Es gab in den vergangenen Wochen eine Menge an Sitzungen mit Expertinnen und Experten sowie Konsultationsrunden in den verschiedensten Zusammensetzungen. Vielmals hat der Bundeskanzler auch Einzelgespräche mit den Expertinnen und Experten und viele Telefonate auch mit ausländischen Partnern geführt“, heißt es auf Falter-Anfrage aus dem Kanzleramt. „Letztlich muss aber die Politik immer alle Interessen abwägen und dann die Entscheidungen treffen, und diese wurden von der Regierung immer gemeinsam getroffen. Wie der Rückgang der Infektionszahlen im internationalen Vergleich zeigt, hat die Regierung schnell und richtig mit klaren Maßnahmen gehandelt, und diese wurden von der Bevölkerung in einem sehr hohen Maße mitgetragen.“

Kurz und sein Team berieten sich in diesen Tagen vorallem mit Experten der Med Uni Wien, der Immunologin Ursula Wiedermann, der Virologin Elisabeth Puchhammer, Med-Uni- Rektor Markus Müllner, Vizerektor Oswald Wagner und Stefan Thurner vom Complexity Science Hub Vienna.

Unter den Experten im Gesundheitsministerium wie auch im nationalen Krisenstab wurde zuerst die Strategie des „Cocoonings“ verfolgt. Hätte man die Warnungen der „Corona Taskforce“ im Gesundheitsministerium ernst genommen, hätte sich die Regierung allerspätestens Anfang März an das Beschaffen von Masken, Schutzkleidung und vor allem auch Tests machen müssen. Tatsächlich wäre es im Laufe des Februars geboten gewesen, nachdem die Weltgesundheitsorganisation Ende Jänner alle Staaten vor der weiteren Ausbreitung des Coronavirus gewarnt hatte.

In den Lageberichten des nationalen Krisenstabs im Innenministerium schlägt das Thema Notbeschaffung erst am 16. März auf. Und was in den Tagen danach protokolliert wird, erweckt nicht den Eindruck souveräner Vorbereitung und abgestimmter Abläufe. Stattdessen wird die Notbeschaffung an das Rote Kreuz delegiert.

Dabei fordern Sicherheitspolitikexperten seit Jahren vergeblich, Österreich auf unterschiedliche Krisenszenarien – darunter Pandemien – vorzubereiten, sie empfehlen entsprechende Bevorratung und Notfallpläne auf Knopfdruck für die systemrelevanten Bereiche. Brigadierin Sylvia-Carolina Sperandio, Leiterin des Militärischen Gesundheitswesens im Verteidigungsministerium, empfahl in der „Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2020“, die Ende des Vorjahres erschienen ist, einmal mehr, sich auf das „verteidigungspolitische Risikobild Pandemien als Ereignisse mit zunehmender Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkungen von an die 100 Prozent auf die Sicherheit unserer Republik“ vorzubereiten – ohne Resonanz.

Warum das Rote Kreuz in dieser Phase zur zentralen Beschaffungsstelle der Re­pu­blik wird, ist unklar. „Begründungen: Dringlichkeit und Alternativenlosigkeit“, heißt es im internen SKKM-Papier im März lakonisch. Übersetzt: weil es in der Not nicht mehr anders geht?

Die Neos haben noch einen anderen Verdacht: „Weil das Rote Kreuz nicht der Rechnungshofkontrolle unterliegt, werden wir nur auf dem Wege eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses erfahren, ob korrekt abgerechnet wurde und welche Anbieter vielleicht bevorzugt wurden“, sagt Neos-Abgeordneter Gerald Loacker. Auch der Verhandlungsprozess zwischen der Republik und der NGO läuft nicht reibungslos. Der Vertrag mit dem Roten Kreuz über 400 Millionen Euro wird am 16. März aufgesetzt, es gibt eine Freigabe, dann einen Rückzug der Freigabe. Am nächsten Tag folgt der erneute Versuch einer Einigung, ein „Förderungsvertrag“ wird am Abend als „nicht akzeptabel“ markiert, kurz vor Mitternacht einigt sich das Rote Kreuz mit dem Finanz- und Wirtschaftsministerium dann auf einen „Dienstleistungsvertrag“.

Ab dem 17. März bestellt die Rettungsorganisation tausende FFP3- und FFP2-Mundschutzmasken mit und ohne Ventil, Schutzanzüge, Desinfektionsmittel, Un­tersuchungshandschuhe, dazu 60 Beatmungsgeräte und 500 „Pulsoxy“-Messgeräte, die die Sauerstoffsättigung im Blut messen. „Von den 400 Millionen haben wir etwa 140 Millionen gebraucht“, erklärt Rot-Kreuz-Verantwortlicher Gerry Foitik auf Falter-Anfrage, der von „Wildwestmethoden“ am Weltmarkt in jenen Tagen berichtet.

Für die Verteilung der Schutzausrüstungen ist eine Untergruppe des SKKM Koordinationsstabes zuständig, die sogenannte „S4-Gruppe“. Bis zum 24. März haben Oberösterreich und Vorarlberg keinen Vertreter in der zentralen Ressourcensteuerungsgruppe des SKKM nominiert. Sie sollen den Bedarf bei niedergelassenen Ärzten, Physiotherapeuten sowie Krankenhäusern und Pflegeheimen für ihr Land erfassen und an die Zentrale im Bund melden, aber das war „weit davon entfernt, ideal zu sein“, wie ein Involvierter sagt. Anfang April hält das SKKM fest: „Verteilung Schutzausrüstung an niedergelassene Ärzte – funktioniert nicht“ Noch Ende April lautet das Resümee unter einer Aufstellung der Bundesländer: „Bedarfe aufgrund mangelnder Bestandsmeldungen nicht abbildbar“.

Nicht viel anders ist es bei den Tests, die genauso fehlen wie die Schutzausrüstung – wie Anschobers Expertenbeirat bereits zwei Wochen zuvor gewarnt hat. Auch da beginnt die Krisenplanung erst am 18. März. Ein Dauerproblemthema im SKKM-Stab sind auch die Wiederaufbereitung von FFP2/FFP3-Masken (siehe Artikel Seite 15), die Maskennotproduktion – und die schlechte Datenlage. Erst Ende März kümmert sich der Krisenstab um das Problem, dass nicht erfasst wird, ob Tote in Österreich mit oder an Covid-19 gestorben sind.

Am Ende dokumentieren die Powerpoint-Folien aus dem nationalen Krisenstab vor allem eines: den schleichenden Bedeutungsverlust der Experten im Gesamtkrisenmanagement. Der nationale Krisenstab, an sich das Herzstück des Katastrophenmanagements, verkommt zum Handlanger, mitunter auch für parteipolitische Interessen. Das Innenministerium erklärt auf Anfrage, dass es sich eben nur um eine „koordinierenden Gremium“ handle, in dem „jedes Ressort in seinem Verantwortungsbereich“ agiere.

Am 4. März lautet die Tageslosung für die Medien beispielsweise: „Sachliche Berichterstattung: ‚Stabile Lage‘ – Thematische Ablösung durch ‚Flüchtlingsfrage‘“. In jenen Tagen eskaliert gerade wieder die Lage an der türkisch-griechischen Grenze.

Später werden in chronologisch geordneten Excel-Sheets nur mehr Arbeits­aufträge abgearbeitet, darunter artfremde, wie die AUA-Flugbrücken-Aktion „Ernten der Früchte“. „Koordination parlamentarischer Anfragen – Fristverlängerung“ findet sich als Auftrag am 17. März. Die Regierung hätte gerne mehr Zeit gehabt, um Anfragen der Opposition im Parlament zu beantworten, ihr Wunsch wird jedoch nicht erfüllt. Unter dem Kapitel „Öffentlichkeitsarbeit“ finden sich Hinweise auf vorteilhafte Auftritte des Kanzlers in der Kronen Zeitung. Mitte April wird das SKKM mit einem „Monitoring“ der Entwicklungen in Dänemark und Schweden beauftragt.

Anfang Mai startet die Regierung dann ihre Kampagne, die zeigen soll, dass Österreich es besser gemacht hat als die Skandinavier – etwa anhand der Todeszahlen. Dabei empfehlen Experten, solche Vergleiche, wenn schon, frühestens im Jahresverlauf zu ziehen, wenn die Übersterblichkeit zu sehen ist und anhand anderer Parameter eine Gesamtbilanz gemacht werden kann.

Noch interessanter ist, was im SKKM alles nicht besprochen wurde. Für die Phase der „Wiederherstellung“ ist seit Ende Februar ebenfalls jene „Planungszelle“ zuständig, die – offensichtlich folgenlos – zu Beginn der Krise zur differenzierten Cocooning-Strategie geraten hat statt zum kompletten Lockdown. Sie organisierte dafür auch noch Workshops mit Vertretern der kritischen Infrastruktur und präsentierte eine einseitige Covid-19-Folgenabschätzung der Berateragentur McKinsey. Dann scheint ihr Wirken nicht mehr auf – zumindest nicht auf der fortlaufenden Power Point Präsentation, auf der der Krisenstab seine Arbeitsagenden sammelt. „Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen, nationale und globale Sicherheitslagen werden nicht breit diskutiert“, wundert sich Neos-Abgeordneter Douglas Hoyos, der gerade mit zahlreichen Anfragen versucht, mehr Licht in das „Black Box“-Krisenmanagement zu bringen.

Welche Massnahmen waren goldrichtig, welche überschießend? Noch ist es zu früh, eine gesamtstaatliche Bilanz des Corona-Krisenmanagements zu ziehen. Eines aber lässt sich heute schon sagen. Nachvollziehbar waren die Entscheidungen nur selten. Wer in den Krisenstäben sitzt und was dort besprochen wurde, soll geheim bleiben. Dabei findet sich auf den Folien des SKKM-Krisenstabs unter der Überschrift „Grundsätze“ immer wieder auch der Punkt „Höchste Transparenz“ als Ziel.

Das Gesundheitsministerium veröffentlichte Ende März auf seiner Homepage eine Liste mit beratenden Experten der Taskforce, aber nachzulesen ist nur das Ergebnisprotokoll vom 12. März. Und die anderen? „Wir klären das gerade mit allen Teilnehmern, weil diese Gesprächsnotizen ursprünglich nur zur internen Dokumentation gedacht waren“, heißt es dazu auf im Gesundheitsministerium. Welche Beamten im SKKM vertreten sind, ist nicht öffentlich, auf den täglichen Briefings, die an die über achtzig Teilnehmer gemailt werden, steht fett in rot-gelb markiert „ausnahmslos stabsintern“. Immerhin, die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung funktioniert einmal mehr reibungslos: Im „Abendbriefing“ von Montag dieser Woche, 17 Uhr, findet sich auch schon die Anfrage des Falter zu dieser Geschichte.