Finanzstabilität : Kleine Bank, große Gefahr

 

 

Steht eine kleine Bank vor dem Bankrott, kann sie viele größere mitziehen.

 

 

Wie stabil ist unser Finanzsystem? Gegen Kettenreaktionen helfen weder Regulierung noch höhere Kapitalpuffer. Big Data und Algorithmen sollen rund um die Uhr zeigen können, wie verletzlich die Banken sind.

 

Wenn es um den Zustand der deutschen Geldinstitute geht, hat die Bundesbank in den vergangenen Jahren immer denselben Begriff benutzt: Verwundbarkeiten. Soll heißen: Nach jahrelang niedrigen Zinsen und dadurch sinkenden Erträgen besteht die Gefahr, dass so manche Bank schlappmachen könnte.

 

Schlimmer noch: Ein unerwarteter Konjunktureinbruch könnte nicht nur einzelne Kreditinstitute, sondern das System als Ganzes „empfindlich treffen“, lautete das Bundesbank-Mantra in ihrem jüngsten Finanzstabilitätsbericht von November 2019. Damals konnten die Bundesbanker noch nicht ahnen, dass schon vier Monate später das Coronavirus die Wirtschaft lahmlegen und der befürchtete Konjunktureinbruch mit Wucht eintreten würde.

 

Man darf also gespannt sein, wie bedrohlich die Bundesbank die Lage der Banken einschätzt, wenn sie am kommenden Dienstag ihren Finanzstabilitätsbericht für dieses Jahr vorstellt. Schließlich ist die Gefahr groß, dass Unternehmen im Zuge der Corona-Pandemie reihenweise pleitegehen und es zu hohen Kreditausfällen kommt. Zwar haben die Banken auf die Schnelle versucht, ihre in den vergangenen Jahren mitunter vernachlässigte Risikovorsorge zu erhöhen, um auf das Schlimmste gefasst zu sein. Aber ob dies ausreicht, wird sich erst zeigen, wenn die staatlichen Hilfsmaßnahmen für Firmen auslaufen. Die Corona-Krise könnte viel länger dauern als erhofft.

 

Regulierung schützt nicht vor Kettenreaktionen

 

Dass eine Bankenkrise nicht auszuschließen ist, deuten selbst Experten an, die sonst nicht zum Alarmismus neigen: Wirtschaftsberater, die deutsche Finanzaufsicht Bafin und die BIZ als internationale Denkfabrik der Zentralbanken. Auch wenn stets betont wird, dass die Banken ihre nach der Finanzkrise 2008/09 auferlegten Hausaufgaben recht ordentlich gemacht hätten. Vordergründig betrachtet, stimmt das. Banken haben ihre Kapitalpuffer erhöhen und ihre Liquidität stärken müssen, so schreibt es das Basel III genannte Regelwerk vor. Aber reicht die Regulierung womöglich gar nicht aus, weil Aufseher und Finanzinstitute etwas übersehen? „Derzeit denken die Banken über ihr Kreditausfallrisiko nach, aber nicht über ihr systemisches Risiko“, sagt Stefan Thurner, Ökonom, Physiker und Professor für die Wissenschaft Komplexer Systeme an der Medizinischen Universität Wien.

 

Das Risiko für einzelne Banken und das ganze Finanzsystem könnten besser und im besten Fall sogar in Echtzeit analysiert werden, finden Vertreter der sogenannten Complexity Economics. „Unseren Berechnungen zufolge reduziert die Basel III-Regulierung systemisches Kollaps-Risiko praktisch nicht“, schreibt Thurner in seinem gerade erschienenen Buch „Die Zerbrechlichkeit der Welt“.

 

„Diese Regulierung reduziert zwar durch die vorgeschriebenen Puffer die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Banken ausfallen, schützt aber nicht vor den Kettenreaktionen, wenn es doch passiert.“ Simulationen legen nahe, dass die Banken dreimal höhere Kapitalpuffer benötigten als heute vom Basel-Ausschuss vorgegeben. „Solche Puffergrößen wären allerdings vollkommen unrealistisch.“ Den Banken fehlte die Luft zum Atmen.

Faule Kredite sind ansteckend

 

Stärker als Aufsichtsbehörden schauen sich Komplexitätsforscher nicht nur die Kennzahlen einzelner Banken an, sondern analysieren auch sehr genau die Verbindungen untereinander und ihre gegenseitigen Verbindlichkeiten. In einem solchen Netzwerk müssen es nicht zwingend die großen Banken sein, die großen Schaden anrichten können. Sondern auch von kleinen, oft übersehenen Instituten kann ein systemisches Risiko ausgehen.

 

„Too big to fail ist nicht immer die richtige Denkweise“, sagt Thurner. Je dichter das Netzwerk, desto höher das Risiko. Zugespitzt formuliert: Wenn eine Bankfiliale in der Provinz viele faule Kredite und zugleich hohe Verbindlichkeiten bei zehn anderen Geldinstituten hat, kann sie einen Dominoeffekt auslösen. Dann kommt eine Bank nach der anderen ins Wanken und kippt womöglich um. Das Finanzsystem stünde auf dem Spiel, und auch die Realwirtschaft könnte arg in Mitleidenschaft geraten.

 

Aus der Finanzkrise hat alle Welt gelernt, wie weitreichend faule Kredite sich verteilen und Geldinstitute sich gegenseitig anstecken können. Letztlich muss der Steuerzahler dafür geradestehen, dass Banken gerettet werden. Das Risiko ließe sich verringern, wenn sämtliche Daten über Kredite und andere Finanztransaktionen gebündelt würden, dank Algorithmen Schwachstellen ausfindig gemacht werden könnten und sich das Kollapsrisiko analysieren ließe. Big Data könnte also für Sicherheit sorgen, theoretisch schon heute. „Wenn ich ein System im Tagesrhythmus beobachten kann, könnte man die derzeitigen Regulierungsmechanismen zurückfahren“, sagt Thurner.

Forscher regen globale Risikosteuer an

 

Nun könnte man einwenden: Aus einem Elfenbeinturm lässt es sich gut kritisieren. Doch die Wiener Komplexitätsforscher haben ihre Erkenntnisse auch praktisch erprobt, und zwar in Mexiko. Die Wahl des Landes mag zunächst exotisch anmuten, doch gibt es dafür einen guten Grund: Bei keiner anderen Zentralbank der Welt lassen sich Transaktionen aller Art so gut nachvollziehen wie bei der mexikanischen – eine Lehre aus der Peso-Krise vor 25 Jahren. Und die Wiener Wissenschaftler und die mexikanischen Zentralbanker fanden tatsächlich heraus, dass nicht nur die Großbanken zum Systemproblem werden könnten, sondern – je nach ihrer Position in einem dichten Netzwerk – auch unscheinbare Institute. Im schlimmsten Fall müssten mexikanische Steuerzahler Hunderte Milliarden Dollar im Jahr bezahlen.

 

Aber was kann man mit den Erkenntnissen anstellen? Manche Notenbanken zeigen sich zunehmend offener für die Netzwerkforscher und deren Vorschläge, so verrückt sie zunächst auch klingen. Zum einen schlägt Thurner vor, einen systemischen Risiko-Index zu berechnen, der in Zukunft die von Banken ausgehenden Gefahren beziffert: „Idealerweise müssten wir die Zeitung aufschlagen können, um uns auf den Wirtschaftsseiten über den systemischen Risiko-Index zum Beispiel der Deutschen Bank, der Bank Austria oder der Credit Suisse zu informieren.“

Die zweite Idee klingt noch verrückter: eine Steuer, um das Netzwerk zu verändern. Ein Kredit mit hohem systemischen Risiko müsste dann hoch, einer mit niedrigem Risiko niedrig besteuert werden. Infolgedessen würde jede Bank versuchen, riskante Transaktionen zu vermeiden. Das Netzwerk würde dadurch sicherer, bliebe aber effizient. Idealerweise wären am Ende alle Transaktionen steuerfrei. „So könnte der Steuerzahler schadlos gehalten werden“, sagt Thurner. Die Crux: Alle Staaten der Welt müssten sich darauf einigen, die Risikosteuer gleichzeitig einzuführen. Bis es jemals so weit käme, bleibt das System verwundbar. Nicht nur in Zeiten von Corona.