Wissenschaft : Globaler Provinzialismus in der Ökonomie
- –Aktualisiert am
Auch deutsche Ökonomen publizieren verstärkt in amerikanischen Journalen. Wissenschaftler streiten, ob das sinnvoll oder schädlich ist. Ein Gastbeitrag.
Christian Dustmann kann die negativen Folgen der transatlantischen Verlagerung des wissenschaftlichen Publikationsmarkts, die wir in unserem Beitrag beschrieben haben, in seiner Replik nicht erkennen. Er hält sie für eine Chimäre. Zur Erinnerung: Wir haben argumentiert, dass sich die deutsche Wirtschaftswissenschaft mit der Verlagerung ihrer Publikationen auf den amerikanischen Markt in eine Abhängigkeit begibt, die ihr in mehrfacher Hinsicht schadet.
Erstens wird nur noch verhältnismäßig wenig über europäische Themen geforscht. Das hat zur Folge, dass deutsche Ökonomen oft nicht auskunftsfähig sind, wenn es darum geht, wirtschaftspolitische Entscheidungen zu beurteilen, oder dass sie Modelle ohne geeignete Datenbasis auf die europäische Wirklichkeit übertragen. Drittens entwickeln sich Herausgeber-Kartelle, verursacht durch die Schwierigkeit, sich als Europäer auf dem amerikanischen Publikationsmarkt Zugang zu verschaffen.
Anders als Christian Dustmann behauptet, beschreiben wir diese Entwicklung nicht einseitig negativ, sondern heben die Steigerung der Artikelqualität und den Zugewinn an Rigorosität hervor. Naiv erscheint uns allerdings Dustmanns Annahme, die Verlagerung des Publikationsmarkts habe nur positive Folgen oder sei, mit seinen eigenen Worten, „ein Ausdruck von Qualität“.
Damit kommen wir zum Kern: Dustmann geht wohl von vollkommenen Märkten aus, die akademische Höchstleitungen nach einfacher Sportmetrik verzerrungsfrei messen und belohnen. „Wettbewerb“, schreibt er „führt zu besserer, relevanterer Forschung.“ Wer in den Top-Five-Journalen der Wirtschaftswissenschaften veröffentlicht, soll das heißen, der hat automatisch besonders hochwertige Forschung vorgelegt. Dass ein Ökonom annimmt, gerade der wissenschaftliche Publikationsmarkt sei frei von Marktunvollkommenheiten, wie wir sie in unserem Beitrag beschrieben haben, ist erstaunlich. Physiker um Alessandro Pluchino haben eine solche Argumentation als „naive Meritokratie“ charakterisiert.
Die Tyrannei der Fachjournale
Es ist allgemein bekannt, dass es angesichts der geringen Zahl von akademischen Dauerstellen und der großen Zahl von Bewerbern immer wichtiger wird, sich weltweit bekannt zu machen. Ein berüchtigtes Beispiel ist der deutsche Physiker Jan-Hendrik Schön, der in den vier Jahren, die er für die Bell Labs arbeitete, neunzig Beiträge verfasste, von denen 25 in den hochangesehenen Journalen „Nature“ und „Science“ veröffentlicht wurden. Sechzehn von ihnen mussten wegen Betrugs zurückgezogen werden. Wäre der Publikationsmarkt reiner Ausdruck von Qualität, wie Dustmann voraussetzt, dann könnte es solche Fälle nicht geben. Es gibt sie aber, auch in den Wirtschaftswissenschaften. Mittlerweile kritisiert selbst der Wirtschaftsnobelpreisträger James Heckman die „Tyranny of the Top Five“ in den Wirtschaftswissenschaften, gemeint sind die fünf prominentesten Fachjournale.
Darüber hinaus hat eine Untersuchung von Brogaard, Engelberg und Parsons aus dem Jahr 2014 ergeben, dass eine enge „Netzwerkverbindung“ von Autoren und Herausgebern die Publikationschancen von Beiträgen beträchtlich erhöht. Anders ausgedrückt: Das Netzwerk ist allem Anschein nach so wichtig für die Annahme eines Beitrags wie der Beitrag selbst. Ob bei diesen „Publikationsturnieren“ immer oder meistens die qualitativ besten Beiträge gewinnen, ist eine bisher nicht eindeutig beantwortete Frage. Nach einer Studie von Stefan Thurner und Rudolf Hanel aus dem Jahr 2011 kann aber mit einiger Berechtigung bezweifelt werden, dass dem so ist.
Angesichts dieser Verzerrungen stellt sich die Frage, ob die Ausrichtung an den Top-Five-Journalen, von denen vier aus den Vereinigten Staaten kommen, ratsam ist. Das umso mehr, als Dustmann selbst darauf hinweist, dass 2017 und 2018 in den ökonomischen Top-Five-Journalen Daten zu 49 Prozent aus den Vereinigten Staaten, zu zwanzig Prozent aus der EU und der Rest aus anderen Ländern kamen. Dustmann hält das für viel, angesichts der Tatsache, dass Europa rund vierzig Volkswirtschaften hat, kann man allerdings leicht überschlagen, wie gering der Anteil empirischer Daten für die einzelne Volkswirtschaft ausfällt. Er dürfte zwischen null und fünf Prozent liegen. Viel oder wenig?
Soll Amerika unsere Probleme lösen?
Mit dem Titel seines Beitrags „Global, nicht provinziell“ attestiert sich Dustmann globales Denken. Global gedacht, also nach dem Weltanteil am Bruttoinlandsprodukt, müssten allerdings auf die Brics-Staaten und die EU zusammen über 65 Prozent der Daten in den Top-Journalen entfallen. Und nimmt man die Bevölkerung als Bezugsgröße, entfallen auf die Brics-Staaten 42 Prozent, auf die Vereinigten Staaten dagegen nur rund vier Prozent. Behauptete Globalität entpuppt sich hier als Provinzialismus
Wichtig war uns die Frage, wie man wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen soll, wenn dafür passende Daten fehlen. Dazu ein Beispiel: Wenn VW ungefähr die Hälfte aller Neuwagen in China verkauft, Daimler 28 Prozent und BMW 25 Prozent, dann stellt sich die Frage nach dem Stand und der Entwicklung der Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft von China. Empirische und spieltheoretische Analysen werden hierfür dringend benötigt. Erwarten wir, dass Amerika unsere volkswirtschaftlichen Probleme löst?
Probleme zu leugnen löst sie bekanntlich nicht. Von funktionsfähigen Wettbewerbsmärkten auszugehen, bei denen bereits hinreichende empirische Evidenz für Marktversagen vorliegt, ist ökonomisch nicht legitim. Statt wie Dustmann den unvollkommenen Status quo als beste aller Welten zu verteidigen, suchen wir nach Lösungen. Um die Begutachtung zu verbessern, schlagen beispielsweise Margit Osterloh und Bruno Frey eine Zufallsauswahl bei Uneinigkeit der Gutachter vor. Auch wenn dieses Prozedere das Dominanzproblem nicht löst, kann man es als kleinen Schritt zur Verbesserung des verzerrten Publikationsmarkts in den Wirtschaftswissenschaften ansehen.
Die Autoren
Thomas Ehrmann und Aloys Prinz sind Professoren für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Münster.