Vereint gegen die Pandemie

Der Expertenrat berät, die Politik entscheidet. Dabei ziehen WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen an einem Strang, um gemeinsam Österreichs Bevölkerung in eine sichere Zukunft zu geleiten.

VON SUSANNE GOOSS

 

Die sozialen und ökonomischen Folgen der Corona-Krise sind zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht absehbar, werden unsere Gesellschaft aber auf lange Sicht prägen. Von ökonomischen Folgelasten bis hin zu der Einforderung von Solidarität wirft die Krise zu gleichen Teilen moralische wie auch ökonomische Fragen auf. Inwieweit sind wir also bereit, individuelle Freiheit und ökonomische Stabilität der Sicherheit unterzuordnen – und für wie lange? Die Antwort: Geschieht dies in einem zuvor festgelegten Zeitrahmen und ist die Entscheidung sachlich, wissenschaftlich fundiert und transparent kommuniziert worden, trifft sie auf breite Zustimmung in der Bevölkerung.

Gleiches Recht für alle?

Auswege aus dem Dilemma zwischen einer Abwägung individueller Schutzbedürftigkeit und gesellschaftlich notwendigen Maßnahmen versucht beispielsweise die Bioethikkommission mit einer Stellungnahme zur COVID-19-Pandemie aufzuzeigen, indem sie auf die Grundrechtsbindung jeglicher Entscheidungen, seien es medizinische oder gesellschaftspolitische, verweist. So heißt es in dem im März 2020 veröffentlichten Bericht: „Auch im Kontext einer Pandemie sind alle Akteure – staatliche wie klinische – den Wertungen und Normen der Verfassung und Grundrechte verpflichtet.“1 Kurz gesagt: Jeder Mensch hat, unabhängig von seiner zu erwartenden Lebensdauer oder seines gesellschaftlichen Status, dieselben Rechte in der Gesundheitsversorgung. Daher gilt es, Fälle von Triage, bei der ÄrztInnen die unzureichenden Ressourcen der Patientin/dem Patienten mit den jeweils höheren Heilungschancen zuteilen, in jedem Fall zu vermeiden. Warnendes Beispiel ist hier unser Nachbarland Italien, in dem aufgrund knapper Ressourcen, etwa bei Intensivbetten, ÄrztInnen sich dazu gezwungen sahen, eine „Auslese“ unter ihren PatientInnen vorzunehmen. Solche mit besseren Heilungsaussichten bekamen am Ende die lebensnotwendige intensivmedizinische Betreuung, die anderen wurden ihrem Schicksal überlassen – ein wahres Horrorszenario, für ÄrztInnen, PatientInnen und Angehörige. Ähnlich dramatisch dürfte es auf dem Höhepunkt der Corona-Krise in Frankreich zugegangen sein, wo sich die Verdachtsfälle von systematischer Benachteiligung von älteren PatientInnen mehrten,2 denen man entweder die Behandlung vor Ort im Krankenhaus verwehrte oder die ihr Altersheim aufgrund der aussichtslosen Lage erst gar nicht verlassen durften. So sei es statt zur Behandlung fallweise zu präventiver Sterbebegleitung gekommen. „Von den bisher etwa 20.000 Corona-Toten in Frankreich starben mehr als 8000 in Alten- und Pflegeheimen.“3 Statistiken über das Alter von intensivmedizinisch betreuten PatientInnen scheinen dies zu belegen. Die Alterskurve in Pariser Krankenhäusern ist in den letzten Wochen massiv gesunken. Damit Österreich in Zukunft nicht vor ähnliche Probleme gestellt wird, ist es erforderlich, dass ExpertInnen aus Wissenschaft und Politik Hand in Hand arbeiten, um hier Präventivmaßnahmen zu setzen.

 

Wo Politik und Wissenschaft aufeinandertreffen

Jetzt sind also die gewählten Volksvertreter am Zug, die Weichen in eine sichere Zukunft zu stellen. Das tun sie nach eingehender Beratung durch Fachgremien, in Österreich etwa durch den sogenannten Fachbeirat, der den zuständigen Ministerien mit explizitem Wissen zur Seite steht. Bundesminister Rudolf Anschober erklärt dazu: „Wir haben im Krisenstab einen Fachbeirat […]. Mit diesen Experten bin ich im regen Austausch. Deren Meinung ist für mich ausschlaggebend. Was von außen kommt, klammere ich aus. Sonst werde ich verrückt.“4 In diesem Fachbeirat, der wichtigsten Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik im Gesundheitssektor, sitzen unter anderem UniversitätsprofessorInnen für Virologie und Hygiene, ÄrztInnen sowie ExpertInnen fürs Sanitätswesen. Damit wird hier das gesammelte Wissen von Universitäten und Unikliniken zusammengeführt. „Im Fachbeirat von Anschober saßen zuletzt 17 Experten. Rund zweimal die Woche kommen sie in Videokonferenzen zusammen, der Gesundheitsminister leitet das virtuelle Treffen, die Beiräte geben Stellungnahmen zu konkreten Fragestellungen, welche die Epidemie aufwirft, ab.“5 Ein anderes Gremium ist das sogenannte COVID-Prognose-Konsortium, das „wöchentlich konsolidierte Kurzfristprognosen zum Verlauf der an COVID-19 erkrankten Personen in Österreich“ abgibt. Hier kommen ExpertInnen der TU Wien (DEXHELPP/dwh GmbH), der Medizinischen Universität Wien (Complexity Science Hub Vienna CSH) und der Gesundheit Österreich GmbH zusammen und errechnen Modelle zur möglichen Ausbreitung von COVID-19 in Österreich unter Einbeziehung von Maßnahmen wie Social Distancing und Quarantäne. „Datengrundlage für die Modelle ist das elektronische Meldesystem (EMS) des Bundes, das von den Bezirksverwaltungsbehörden gespeist wird.“6 Verwaltung, Wissenschaft und Politik arbeiten hier also Hand in Hand. Dass die Zusammenarbeit aufgrund der unterschiedlichen Systeme von Wissenschaft und Politik nicht immer konfliktfrei abläuft, liegt in der Natur der Sache. Wo das eine System Widerspruch nicht nur zulässt, sondern sogar fordert, sucht das andere nach konkreten, das heißt alternativlosen Lösungsansätzen. Wichtig sind und bleiben die offene Kommunikation und das Aushalten von Gegensätzen.

Das demokratische Mandat

Der bekannte Virologe Professor Christian Drosten von der Berliner Charité sagt dazu in einem NDRInterview vom 30. März 2020: „Die Wissenschaft wäre überfordert, Entscheidungen zu treffen, denn die Wissenschaft generiert nur Daten und kann dann sagen, wie sicher diese Daten sind, und kann auch sagen, wo diese Sicherheit aufhört. Mehr aber auch nicht. […] Die Wissenschaft hat kein demokratisches Mandat.“7

Die Medienwahrnehmung sei allerdings oft eine andere. Auf WissenschaftlerInnen werde ein Bild projiziert, das, so Drosten, nicht der Realität entspreche. Das Problem bestehe also nicht in einem Konflikt zwischen politischen EntscheidungsträgerInnen und WissenschaftlerInnen, der so gar nicht existiere, sondern in der medialen Darstellung von Wissenschaft und Politik. „Das Bild des entscheidungstragenden Wissenschaftlers wird dennoch immer weiter in den Medien projiziert“, so Drosten. Es bestehe die Gefahr, dass sich die Wissenschaft aus der medialen Öffentlichkeit zurückziehe. Drosten forderte die Medien daher zur Zurückhaltung auf.

Der Beobachtung folgt die Entscheidung

Dass die Wissenschaft die notwendigen Daten liefert, auf deren Basis dann in der Politik Entscheidungen getroffen werden können, ist allerdings an den Umstand gebunden, dass erstens die Politik der Wissenschaft die Bedingungen schafft, unter der seriöses und vor allem unabhängiges Arbeiten überhaupt erst möglich werden, und zweitens, dass die Politik im Anschluss dringende Empfehlungen der Wissenschaft auch umsetzt. Es geht hier also auch um die Einhaltung der Reihenfolge: Der Beobachtung folgt die Entscheidung. Nur so können Maßnahmen gesetzt werden, welche einerseits die Rechte des Individuums berücksichtigen und gleichzeitig, basierend auf wissenschaftlicher Sorgfalt, dem Wohle der Gesellschaft dienen. Ziehen also Wissenschaft und Politik an einem Strang, bewegt sich Österreich in die richtige Richtung.

1 Zum Umgang mit knappen Ressourcen in der Gesundheitsversorgung im Kontext der Covid-19-Pandemie. Stellungnahme der Bioethikkommission, Wien, Stand: 31. März 2020, S. 5. 2 Siehe dazu Hummel, Tassilo: Was hat Frankreich mit den Alten gemacht?, in: Die Zeit, 25. 4. 2020. 3 Ebd. 4 Sprenger, Michael: Gesundheitsminister Anschober zu Corona: „Jeder ist ein Teil der Lösung“, Tiroler Tageszeitung vom 19. 3. 2020. 5 Politik und Wissenschaft: Eine schwierige Beziehung, in: Wiener Zeitung, 10. 4. 2020. 6 Informationen zum Coronavirus, COVID-Prognose-Konsortium, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Stand 3. 4. 2020 (www.sozialministerium.at/Informationenzum-Coronavirus/COVID-Prognose-Konsortium.html). 7 Martini, Anja: Wir müssen geduldig sein. NDR Info – Das CoronavirusUpdate mit Christian Drosten, gesendet am 30. 3. 2020, 12.50 Uhr.