“Diese Generation wird kaum gehört”

 

Während es heftige Debatten rund um die Schließung der Schulen gab, ist eine andere Gruppe junger Leute fast lautlos im Lockdown verschwunden. Wie geht es eigentlich den Studierenden?

 

Von Anna Gasteiger

 

Das Hauptgebäude der Universität Wien ist menschenleer. Nur wenige Menschen geistern durch altehrwürdigen Gänge und Stiegenhäuser. Der Gang vor dem Audimax, sonst Ort hektischer Betriebsamkeit: leer. Die Hauptbibliothek, in Prüfungszeiten zweites Zuhause vieler Studentinnen und Studenten: geschlossen bis auf ein paar Ausgabeschalter. Die Hörsäle, nicht nur Ort der Wissensvermittlung, sondern auch vieler sozialer Begegnungen: außer Betrieb.

 

Schon zu Beginn des Semesters setzten die meisten österreichischen Universitäten auf hybride Konzepte, also eine Mischung aus Distance Learning und Anwesenheit. Mit zunehmender Verschärfung der Corona-Maßnahmenverschob sich der Schwerpunkt immer mehr in Richtung Fernunterricht. Für viele Studierende eine große Herausforderung. Vor allem für Erstsemestrige, wie Sabine Seidler, Chefin der Universitätenkonferenz, bereits vor Beginn des harten Lockdowns gewarnt hatte.

 

Eine ganze Generation von Studienanfängern, so die Befürchtung, könnte verloren gehen. Weil sie ohne den Austausch mit Gleichaltrigen inhaltlich überfordert sind. Aber auch aus sozialen Gründen: Eine neue Untersuchung der Meduni Wien und des Complexity Science Hubs Vienna weist nach, dass die Krise junge Menschen besonders stark belastet. In einer Befragung von 1000 Personen zeigte sich, dass Personen unter 30 über mehr Depressivität, Konflikte und Einschränkungen im Sozialleben berichteten; Ältere sind durch ihre Lebenserfahrung offenbar widerstandsfähiger und können mit der Krise besser umgehen.

 

Franz Oberlehner hat sein Ohr ganz nah an den Sorgen und Bedürfnissen der Studierenden. Er leitet die Psychologische Studierendenberatung in Wien. Die Anfragen, erzählt er, seien im Frühling nach einer ersten Schockstarre in die Höhe geschossen und seitdem unvermindert hoch. Es sind vor allem soziale Probleme, mit denen Studentinnen und Studenten in die Beratungsstelle in der Lederergasse im achten Wiener Bezirk derzeit hauptsächlich telefonisch oder virtuell vorstellig werden.

 

Strukturiertes Lernen

 

“Wenn die Studierenden nicht mehr auf die Uni gehen können, nicht in die Bibliothek gehen können, um zu lernen, dann hat das große Auswirkungen. Die Trennung zwischen Lebens- und Lernbereich ist für ein strukturiertes Lernen und Arbeiten sehr wichtig und fällt jetzt weg. Doch nicht nur das, meint der Psychologe. Auch alles andere, was Studentenleben ausmacht, und für junge Menschen sehr wichtig ist. Sich selbstverständlich sehen zu können. Nicht für jedes Treffen im Internet zum Telefon greifen zu müssen. Es entsteht viel Einsamkeit und Verunsicherung. Viele junge Studenten sind völlig verunsichert, weil sie nicht wissen, dürfen wir jetzt zum Beispiel zu fünft irgendwo hingehen und uns etwas zum Essen holen, weil das Studentenheim als gemeinsamer Haushalt gilt? Sie trauen sich dann nicht und leiden wirklich stark unter den Einschränkungen.”

 

Besonders groß, meint auch Oberlehner, sei das Problem für Studienanfängerinnen und -anfänger, die unter dem Druck stehen, schwere Studieneingangsprüfungen ohne Unterstützung von Lerngruppen zu bestehen. “Die, die schon einen Freundschaftskreis etabliert haben, länger in einer WG wohnen und wissen, wie es auf der Uni zugeht, tun sich im Durchschnitt leichter. Im Endstadium des Studiums, wenn man für irgendeine schriftliche Arbeit alleine vor sich werkelt, ist die Gefahr ebenfalls größer, zu vereinsamen. Viele ziehen dann zu den Eltern in die Herkunftsfamilien zurück. Das kann manchmal ganz gut sein, aber auch Schwierigkeiten mit sich bringen. Wir haben viele Studenten aus Deutschland, mit denen wir über Zoom arbeiten, weil sie fluchtartig nach Hause mussten. Die sitzen dann, wenn die Familienverhältnisse schwierig sind, einsam in irgendwelchen Zimmern und wissen nicht, wie sie ihre Tagesstruktur hinkriegen.”

 

Die Situation trifft, wie so oft, Menschen aus wirtschaftlich schwächeren Milieus härter. “Viele Studentenjobs sind weggefallen, vor allem beim Kellnerieren”, sagt Oberlehner. “Die Situationen sind teilweise sehr prekär. Da spielt der familiäre Hintergrund natürlich eine Rolle: Wohlhabendere oder gut situierte Familien können einspringen und aushelfen, wenn die Beziehungen gut sind. Bei Studenten mit schwierigen Verhältnissen oder Migrationshintergrund ist das anders. Ich denke zum Beispiel an eine Studentin, deren Eltern aus Bosnien eingewandert sind. Die Familie lebt zu viert in einer Zweizimmerwohnung, und da fällt jetzt vieles weg. Die Eltern sind in Kurzarbeit oder arbeitslos, bei den Kindern fallen die Jobs weg, das ist ganz schwierig und macht viel Druck auf die familiäre Stimmung. Es sei zu erwarten, sagt Oberlehner, dass die Dropoutrate bei den sozial Schwächeren und wahrscheinlich bei allen Schwächeren , also auch solchen mit psychischen Vorerkrankungen signifikant steigen wird beziehungsweise dass es zumindest zu deutlichen Studienverzögerungen kommt.”

 

Langzeitfolgen

 

Irgendwann werden die Universitäten wieder aufsperren, irgendwann wird man Freundinnen und Freunden wieder einigermaßen unbeschwert im Park treffen können; irgendwann wird auch dieser ganz Corona-Spuk wieder vor bei sein. Aber, meint der Psychologe Franz Oberlehner: “Es würde mich wundern, wenn es ganz ohne langfristige Folgen bliebe. Natürlich, dieses Unmittelbare, dass man dann wieder zusammen etwas essen gehen kann, das stellt sich schnell wieder her, und jemand mit einigermaßen stabiler psychischer Gesundheit wird das rasch überwunden haben. Trotzdem bleiben ja die ganzen wirtschaftlichen Folgen und die damit zusammenhängende Zukunftsangst. Das ist, glaube ich, die gravierendste Langzeitfolge. Schon in den letzten Jahren hatten die jungen Leute immer mehr Angst, was sie alles tun und leisten müssen, um einen Job zu bekommen, der Druck war enorm. Und der verstärkt sich jetzt noch, weil eine Wirtschaftskrise ansteht.”

 

Zudem würden die Anliegen der Studierenden in der öffentlichen Debatte über die Corona Maßnahmen keine besonders große Rolle spielen. “Viele Studenten haben das Gefühl, dass man auf sie vergisst. Es hat natürlich keinen Sinn, die einzelnen Gruppen gegeneinander auszuspielen, aber es ist doch so: Die Lehrergewerkschaft meldet sich laut zu Wort, die Eltern von Schülern machen Druck et cetera. Aber diese Generation, die eigentlich unsere Zukunft ist, wird kaum gehört. Sie würde schon ein bisschen mehr Aufmerksamkeit verdienen”. Mehr Aufmerksamkeit verdient auch die finanziell prekäre Situation, in der sich die Psychologische Studierendenberatung befindet: Wir sind eine Bundesstelle, und im Stellenplan wird beinhart eingespart. Es wird nicht nachbesetzt, und die Aufgaben werden immer mehr, wir können dem kaum nachkommen.