Die beiden Experten, deren Rechnungen der Regierung als Entscheidungsgrundlage dienen, warnten aber mit Nachdruck davor, zu glauben, dass das Problem damit vom Tisch sei. “Die Frage ist, was ist dann in zwei Wochen?”, sagte Popper. Mit ungefähr so viel Verzögerung müsse man rechnen, bis sich reale Ereignisse in den Daten niederschlagen. “Wenn die Kontakte wieder dichter werden und zunehmen, dann ist damit zu rechnen, dass die Infektionszahlen auch wieder hinaufschnellen”, erläuterte Thurner.
Popper betonte, es habe sich herausgestellt, dass die Basisreproduktionszahl (R0) noch höher sei, als man zuerst geglaubt habe. Diese gibt an, wie infektiös ein Erreger am Anfang einer Epidemie ist, also wie viele Mitmenschen eine infektiöse Person im Schnitt ansteckt. Im Fall von Covid-19 wird sie neuesten Studien zufolge irgendwo zwischen 2,5 und 3,3 angenommen. “Wir müssen folgendes Bild vor Augen haben: der Druck auf dem Deckel ist sehr hoch, wir drücken ganz fest drauf. Wenn wir da nachlassen, dann knallt das mit Zeitverzug voll hinein”, sagte Popper.
Die heikle Aufgabe der Regierung für die nächsten Wochen und Monate sei es, behutsam abzuwägen, wie man Maßnahmen schrittweise zurückrollen könnte, ohne dass die Zahlen wieder in die Höhe schnellen. “Wir werden da herumlavieren müssen”, umriss der Wiener Forscher eine Strategie, die der US-Wissenschaftsblogger Tomas Pueyo in einem enorm einflussreichen Artikel als “Hammer und Tanz” beschrieb (deutsche Übersetzung: http://go.apa.at/ChO2ZA7n).
Demnach würde auf eine intensive Phase harter Maßnahmen eine längere Phase mit mal weniger, mal stärkeren Einschnitten folgen, um neue Krankheitswellen zu unterdrücken. Das soll ermöglichen, dass einerseits die Wirtschaft wieder in die Gänge kommt, andererseits Zehntausende Leben gerettet werden und das Gesundheitssystem intakt bleibt. Verfolgt werden müsste diese Strategie notfalls so lange, bis ein Impfstoff auf dem Markt ist beziehungsweise bis es eine wirksame Therapie gibt, schrieb Pueyo.