Die einen warnen vor “englischem Roulette”, andere wollen Lockerungen
WIEN. Corona-Maßnahmen: Nach Gecko-Beratungen morgen Entscheidung von Bund und Ländern.
Die gestrige Entwicklung ließ wenig Zweifel daran, dass auch in Österreich die Omikron-Welle die Pandemie neuerlich anheizen wird: Die Zahl der täglichen Neuinfektionen stieg von 3319 auf 5496. Experten des Complexity Science Hub (CSH) warnten zudem davor, dass mit der Variante und deren Umgehung des Immunschutzes nur noch 40 Prozent der Bevölkerung vor einer Infektion sicher sind (Details siehe unten).
Was die von Modellrechnern erstellten Prognosen, wonach Mitte Jänner der bisherige Höhepunkt an täglichen Neuinfektionen (rund 16.000) deutlich überschritten wird, erhärtet. Gleichzeitig tönten aus der Wirtschaft und dem Schulbereich weitere Rufe nach Verkürzung der Quarantäneregeln.
Unter diesen konträren Vorzeichen trafen gestern Nachmittag die Experten der Gecko-Kommission zusammen, um über Empfehlungen für den Umgang mit Omikron in den nächsten Wochen zu beraten. Heute wird darüber auf Regierungsebene diskutiert, beim gemeinsamen Gipfel mit den Landeshauptleuten am Donnerstag sollen Entscheidungen getroffen werden – über Lockerungen oder Verschärfungen der Maßnahmen. Bis dahin herrscht Stillschweigen.
Eine Lockerung der Quarantäneregeln schloss Gecko-Co-Chefin, Katharina Reich, gestern nicht aus: “Es muss einfach in einem gesamtstufenhaften Vorgehen stimmig sein, und das ist durchaus denkbar”, sagte sie zu den Forderungen mehrerer Landeshauptleute, darunter Oberösterreichs Thomas Stelzer (VP), denen sich gestern etwa auch die Wirtschaftskammer anschloss. Und auch der Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) kritisierte die derzeitigen Quarantäneregeln als “mit dem bevorstehenden Schulstart nicht kompatibel”.
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SP) gab dagegen einmal mehr den Mahner: Er habe “große Sorge”. Wie ernst die Situation sei, “sieht man an den explodierenden Infektionszahlen”. Er erhoffe sich von Gecko “konkrete Vorschläge” und pochte auf “bundeseinheitliche Maßnahmen”, die “gravierend” sein müssten. Ziel sei es, einen fünften Lockdown zu verhindern, auszuschließen sei ein solcher aber nicht, so Ludwig.
Eher als Warnsignal ist auch die eingangs erwähnte Einordnung des CSH zu verstehen: In dem gestern veröffentlichten Policy Brief verweisen Peter Klimek und Stefan Thurner zwar auf internationale Studien, wonach Omikron tatsächlich zu milderen Krankheitsverläufen führt. Doch sie konstatieren auch, dass das Zeitfenster, “in dem man ein Eindämmen der sich aufbauenden Omikron-Welle noch hätte versuchen können, bereits verstrichen ist”, weshalb der Zugang in der Pandemiebekämpfung zu überdenken sei. Es bliebe “nur die Frage, ob man die Durchseuchung langsam oder schnell geschehen lassen will”. Dies müsse die Politik rasch beantworten, “damit sich die Bevölkerung darauf mit individuellen Schutzmaßnahmen vorbereiten kann”.
Eine schnelle Durchseuchung wäre “eine riskante Wette mit enorm hohem Einsatz”, heißt es in dem neunseitigen Papier. Denn dabei sei davon auszugehen, dass sich zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung infizieren, bevor die Welle abflacht. Die zu erwartenden Personalausfälle im Gesundheitsbereich und in der kritischen Infrastruktur wären “englisches Roulette”, so Klimek. Die bisherige Strategie, die Corona-Wellen mit Blick auf die Spitalskapazitäten abzuflachen, könnte obsolet sein, weil “Kapazitätsgrenzen in kritischer Infrastruktur früher erreicht werden könnten”.
Bildungsminister abwartend
Zu den Rufen nach verkürzten Quarantäneregeln auch für Schulen wollte sich gestern Bildungsminister Martin Polaschek (VP) nicht äußern. Die Entscheidung sei Sache des Gesundheitsministeriums. Nach derzeitigem Stand starten die Schulen am Montag mit der Sicherheitsphase. Das bedeutet Antigen-Test am Montag, dann das weitere Testregime mit Antigen- und PCR-Tests – wobei Eltern aufgerufen sind, ihre Kinder bereits vor Montag zu testen und nur mit negativem Test in die Schule zu schicken, heißt es aus Polascheks Büro. Dazu kommt Maskenpflicht, verlängert wird das erlaubte Fernbleiben vom Präsenz-Unterricht.