Peter Klimek über Delta-Variante und Langzeitimmunität
Der Komplexitätsforscher über die Saisonalität des Virus
Isabelle Daniel: Sie haben vor einigen Wochen gewarnt, dass wir nicht “Täglich grüßt das Murmeltier” spielen. Wir sollten nicht die Fehler vom letzten Sommer wiederholen. Machen wir nicht gerade genau das?
Peter Klimek: Im letzten Sommer ist die Pandemie bereits für beendet erklärt worden und im Oktober war dann die Überraschunggroß, dass sie doch nicht zu Ende war. Jetzt glauben viele wieder, dass die Pandemie durch die Impfung quasi vorbei ist, wenn es sie überhaupt gegeben hat. Wir gehen in den Herbst mit einer 60 bis 70 % vollimmunisierten Bevölkerung und werden uns dadurch leichter tun. Dennoch ist das Virus ein saisonales und wir werden im Herbst wieder mehr Virusaktivitätsehen.
Daniel: Viele sind überrascht, dass die Zahlen jetzt schon steigen. Wir hatten tageweise schon über 1.000 Neuinfektionen. Gibt es überhaupt einen Grund überrascht zu sein oder war das mit der Delta-Variante absehbar?
Klimek: Es war absehbar. Der mehrwöchige Trend ist seit Juni relativ stabil. Wir verdoppeln uns alle paar Wochen mal. Das geht mal schneller mal langsamer. Wir haben nach wie vor noch eher niedrigere Zahlen, d. h., da sieht man Schwankungen schneller, deswegen muss man über den längeren Trend schauen und der ist einfach ein bisschen besorgniserregend. Wir schaffen es jetzt in der günstigsten saisonalen Phase nicht wirklich, den Deckel draufzuhalten und das Wachstum einzudämmen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass das Virus wieder aktiver wird, wenn es weniger UV-Licht gibt. Wir müssen darauf vorbereitet sein, damit es kein böses Erwachen im Oktober gibt.
Daniel: Sie sind der Meinung, dass nur das Impfen alleine nicht ausreichen wird, bei den Quoten, die wir derzeit haben. Was sollten wir konkret machen?
Klimek: Nur das Impfen alleine wird nicht ausreichen, um die Kurve so stark abzuflachen, dass wir nicht wieder einen Druck auf das Gesundheitssystem zu spüren bekommen. Dazu sind wir einerseits von dieser hypothetischen Herdenimmunität zu weit weg. Andererseits greift das Konzept an sich ein bisschen zu kurz, weil das Virus breitet sich in Clustern aus. Wir werden auch bei noch mehreren Durchimpfungsraten immer wieder mit größeren Clustern zutun haben, aber wir werden unser Gesundheitssystem nicht überlasten. Andere Punkte, die man sich ganz genau anschauenmuss, sind: Wie sieht es mit der Langzeitimmunität aus, da wird eh schon viel diskutiert über den dritten Stich und inwiefern ist das unterschiedlich bei jüngeren und älteren Patienten. Die große Frage ist: Bringen uns die gelebten Maßnahmen, Hände waschen und Maske tragen, durch den Herbst und den Winter, oder müssen wir auch wieder auf Kontaktreduktion zurückgreifen.
Daniel: Würden Sie die 1-GRegelung empfehlen? Nur Geimpfte dürfen ins Fitnesscenter, ins Restaurant oder in die Nachtgastronomie gehen?
Klimek: Ich persönlich würde mich mit Empfehlungen zurückhalten,weil ich kann nur unterschiedliche Szenarien und Modelle durchrechnen, sagen, was dabei rauskommt, aber was die gesellschaftlichen Konsequenzen davon sind und rechtliche und ethische Dimensionen, das müssen natürlich andere beurteilen.
Daniel: Sind Sie der Meinung, dass die vierte Welle in Österreich schon da ist?
Klimek: Wir sind in einer frühen Wachstumsphase. Wenn wir in ein paar Wochen oder Monaten zurückblicken, dann werden alle sehen, dass wir schon seit Juli in einerexponentiellen Wachstumsphase sind, die ist jetzt noch moderat. Wir haben das tiefste Niveau an Fallzahlen schonlange überschritten. Wir sind jetzt noch im Vorspiel der vierten Welle.