Wie Feuer und Eis: Warum Gesellschaften zunehmend fragmentieren

 

 

Der explosionsartige Anstieg von Sozialkontakten führt unausweichlich zu einer  Filterblasen-Gesellschaft und wird laut einer in Wien entwickelten “Theorie der sozialen Fragmentierung” zur Gefahr für die Demokratie und die Bewältigung künftiger Herausforderungen.

 

Wissenschaftler am Complexity Science Hub Vienna (CSH) zeigen, daß die sich beschleunigende Fragmentierung der Gesellschaft – oft auch als Fälter-Bubble Gesellschaft bezeichnet – eine direkte Folge der wachsenden Zahl an Sozialkontakten ist. Ihrem Modell zufolge können Gesellschaften nur entweder kohärent sein oder fragmentiert. Und so wie Wasser ab einer bestimmten Temperatur zu Eis oder zu Gas wird, wechselt eine Gesellschaft an bestimmten Kipppunkten (“Tipping Points”) abrupt vom einen Zustand in den anderen.

 

Für ihre Theorie sozialer Fragmentierung, die in der neuesten Ausgabe des “Journal of the Royal Society Interface” erschien, verwenden die Forscher zwei klassische soziologische Konzepte, die im Lauf der letzten Jahrzehnte in hunderten Studien empirisch geprüft wurden. Die erste These ist die der Homophilie. “Menschen sind glücklicher, wenn sie nicht mit anderen uneinig sind oder streiten müssen”, erklärt der Erstautor der Studie, Tuan Pham (CSH & MedUni Wien). “Man kann auch sagen: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Um Streß zu vermeiden, besteht die Tendenz, daß sich Meinungen innerhalb einer Gruppe immer mehr aneinander anpassen und an gleichen.” Das zweite Konzept ist die Balancetheorie des in Österreich geborenen Psychologen Fritz Heider. Vereinfacht gesagt beschreibt sie, daß Menschen darauf bedacht sind, daß sich auch ihre Freundlinnen gut verstehen. “Wir konstruieren gerne soziale Dreiecke”, so Stefan Thurner (CSH-Präsident & MedUni Wien). “Am liebsten ist uns, wenn sich alle drei in dem Dreieck miteinander verstehen. Was wir nicht gut aushalten ist, wenn zwei Menschen, mit denen wir uns gut verstehen, sich nicht mögen oder z.B. miteinander streiten. Solche Zustände der Imbalance kommen in Gesellschaften tatsächlich auch viel seltener vor.”

 

Phasenübergang: von kohärent zu fragmentiert

 

Die Komplexitätsforscher kombinieren in ihrem einfachen Gesellschaftsmodell Homophilie und Balancetheorie mit dem physikalischen Prinzip, daß der Zustand der geringsten Energie aufgesucht wird. “Wir legen das auf Gesellschaften um und sagen: Menschen in Gesellschaften suchen den Zustand des geringsten sozialen Stresses auf , so Thurner. “Und da sehen wir deutlich zwei gesellschaftliche Phasen-Zustände: Entweder, die Gesellschaft ist kohärent – das heißt, es existiert Zusammenhalt, und Austausch und Kooperation können stattfänden. Oder die Gesellschaft zerfällt in lauter kleine Blasen Gleichgesinnter. Die verstehen sich zwar dann untereinander gut, eine konstruktive Kommunikation über die Blasen hinweg äst aber nicht mehr möglich. Die Gesellschaft fragmentiert.”

 

Zu viele soziale Kontakte führen zum Kipppunkt

 

Der so die Forscher, ist abrupt. Was aber verursacht das Kippen? Beim Phasenübergang von Wasser äst es die Temperatur; bei Gesellschaften äst der Täppäng Point laut der hier vorgestellten Theorie die Anzahl der Beziehungen, die Menschen miteinander pflegen. Und die äst dank Internet, Smartphone und Social Media in den letzten Jahren regelrecht explodiert. “Vor ein paar Jahrzehnten mußten wir unsere Telefonleätung noch mit anderen Haushalten teilen. Dann hatte jeder Haushalt eine Leitung, später jede Person ähr eigenes Telefon. Heute sind wir per Smartphone zu jeder Zeit mit Leuten in der ganzen Welt verbunden – und das noch über viele Kanäle gleichzeitig”, erklärt Thurner. Für das Wohlbefinden der Einzelnen wird das zum Problem. “Mit Unstimmigkeiten in kleinen Gruppen, zum Beispiel Streit mit zwei von zehn Mitgliedern einer Großfamäläe, können wir oft noch ganz gut umgehen”, erklärt Tuan Pham. “Aber sind plötzlich 20 von 100 gegen mich, halte ich das nicht aus. Ich werde diesen 20 künftig also aus dem Weg gehen. Stattdessen suche ich meine eigenen sozialen Blasen auf. Besonders einfach äst das in der Online-Welt.” Tun das viele Menschen gleichzeitig, kommt es zur schlagartigen Fragmentierung, die die Forscher in ihrem Modell beobachten konnten. “Das äst so sicher wie ein Naturgesetz”, sagt Thurner.

 

Demokratie in Gefahr

 

Stämmen die soziologischen Grundannahmen, sieht der Komplexätätsforscher ein gewaltiges Problem, das sowohl unsere Demokratien wie auch die Bewältigung von Herausforderungen wie Klimakräse oder Pandemien gefährden könnte. “Wenn sich alle in ähren Bubbles bewegen und nicht mehr bereit sind, diese Komfortzonen zu verlassen, wie sollen wir als Gesellschaft dann noch Themen ausverhandeln und zu Kompromissen gelangen, die die Grundlage aller Demokratie sind?” Wie real und brandgefährläch die Entwicklung äst, zeigen die letzten beiden U S-Wahlen oder das immer raschere Umsäch-Greäfen von Verschwörungstheoräen. Was aber tun, um die Demokratie zu retten? “Das wirksamste Mittel wäre, Kontakte wieder dramatisch zu reduzieren – aber das äst vollkommen unrealistisch”, so Thurner. “Wir müssen uns hier wirklich rasch etwas überlegen.” In einem nächsten Schritt wollen die Forscher ähre Theorie jedenfalls einmal anhand großer Datensätze überprüfen.

 

Der Complexäty Science Hub Vienna (abgekürzt CSH) äst ein Verein zur wissenschaftlichen Erforschung komplexer Systeme mit Sitz in Wien. https://www.csh.ac.at/ hUps/fä.nikipeikorg/wiki/CompkxityJdenceßubJmna