2.547 – diese Zahl genießt zurzeit eine Art Promistatus unter den medizinischen Kennzahlen des Landes. So viele Intensivbetten finden sich zurzeit in Österreichs Spitälern. Solche Betten zeichnet in erster Linie aus, dass sie auf den Intensivstationen der Krankenhäuser stehen – also auf jenen Stationen, in denen Patienten mit schweren oder gar lebensgefährlichen Verletzungen und Erkrankungen behandelt werden.
Frei ist von den rund 2.540 Betten freilich eine deutlich kleinere Anzahl. „Die Auslastung beträgt rund 82 Prozent im Jahresdurchschnitt“, heißt es auf der Website des Gesundheitsministeriums. Wobei in den Wintermonaten – Stichwort Grippesaison – tendenziell mehr Betten belegt sind als im Sommer. In absolute Zahlen gegossen bedeutet das: Im Schnitt sind in ganz Österreich jederzeit rund 500 Betten für Notfälle frei. Das ist – bezogen auf die Einwohnerzahl – im internationalen Vergleich ein recht guter Wert und unter normalen Umständen auch ausreichend. In Zeiten, in denen sich eine Pandemie anschickt, über das Land zu rollen, sieht das freilich anders aus.
Zwar verläuft eine Infektion mit dem Coronavirus bei der Mehrheit der Menschen ohne schwere Komplikationen. Manche erkranken aber so stark, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen. Und bei einem kleinen Teil nimmt die von dem Virus ausgelöste Lungenkrankheit so schwere Formen an, dass eine Behandlung auf der Intensivstation – bisweilen auch mit künstlicher Beatmung – nötig wird.
Noch wenige Intensivpatienten
Entsprechend mehrten sich bereits vor Wochen auch hierzulande die Warnungen: Bei einer ungebremsten Ausbreitung des Virus kämen die Spitäler sehr bald an ihre Grenzen. Konkrete Zahlen lieferten Mitte März etwa der Complexity Science Hub Vienna (CSH): Sollte sich – entsprechend den damals bekannten Steigerungsraten – die Zahl der Fälle alle zwei Tage verdoppeln, könnte die Kapazität der Intensivbetten in österreichischen Spitälern bereits in rund 14 Tagen erschöpft sein, hieß es damals.
Von diesem Fall ist Österreich nun – zwei Wochen später – glücklicherweise noch ein Stück weit entfernt. Laut dem Sozialministerium wurden mit Stand Mittwochabend 90 an Covid-19 erkrankte Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen behandelt. 540 weitere Erkrankte befanden sich auf Normalstationen. Das liegt zum einen daran, dass sich der Zeitraum, in dem sich die Zahl der Infektionen verdoppelt, merklich verlängert hat.
Zum anderen scheinen in Österreich bisher verhältnismäßig wenig Erkrankungen einen sehr schweren Verlauf zu nehmen. Zum Vergleich: Der CSH ging in seinen Annahmen davon aus, dass etwa fünf Prozent der Fälle intensivmedizinisch betreut werden müssen. Aktuell trifft das aber nur auf 1,5 Prozent zu. Dass das so bleibt, kann allerdings niemand garantieren. Sollten sich etwa verstärkt ältere Menschen mit dem Virus infizieren, könnten die Verhältnisse schnell anders aussehen. Auf tragische Weise zeigt sich das zurzeit in Italien und Spanien.
In einem Statement gegenüber ORF.at weist der CSH überdies darauf hin, dass es bei den Betroffenen im Schnitt vier bis sechs Tage dauere, bis sie nach einem positiven Testergebnis auf die Intensivstation kommen. Die aktuellen Zahlen müssten sich also an der Zahl derer orientieren, die vor rund fünf Tagen bereits positiv getestet waren. „Da liegen wir dann in etwa bei drei Prozent der Fälle“, so der CSH.
Aktuelle Berechnung
Entsprechend bleiben auch die Appelle von Expertinnen und Experten aufrecht, die Ausbreitungsrate des Virus so weit wie möglich nach unten zu drücken. In einem aktuellen Modell haben die Wiener Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher und ihr Kollege Christopher Singhuber von Health System Intelligence einmal mehr berechnet, wie lange es dauern könnte, bis die Kapazität an Intensivbetten ausgeschöpft ist.
Sollte sich die Zahl der Fälle alle acht Tage verdoppeln, „werden die österreichischen Intensivbettenkapazitäten bis 23. April nicht überschritten. Sollte die Zahl der Neuerkrankungen sich jedoch alle sechs Tage verdoppeln, so wären die Intensivkapazitäten ab 18. April überschritten“, heißt es dort. Auch im ersten Szenario wären mit 23. April aber bereits um die 900 Intensivbetten durch Covid-19-Patientinnen und Patienten belegt. Und weiter in die Zukunft blickt das Modell nicht.
Veränderliche Lage
Berechnungen wie die von Hofmarcher und Singhuber sind natürlich immer mit Unsicherheiten verbunden. Darauf weisen die beiden auch selbst hin. Wie schnell sich die Situation verändern kann, zeigten auch die beiden vergangenen Tage.
In ihren am Dienstag präsentierten Berechnungen gingen die beiden Gesundheitsökonomen etwa davon aus, dass ein Prozent der Erkrankten auf der Intensivstation behandelt werden muss. Noch Mittwochnachmittag wäre das doppelt so viel gewesen wie die vom Ministerium vermeldete Zahl. Mit anderen Worten: konservativ gerechnet. Inzwischen befinden sich aber nach offiziellen Zahlen 1,5 Prozent aller Erkrankten auf der Intensivstation. Die Schätzungen sind damit nicht mehr konservativ, sondern nach momentanem Stand sogar etwas zu optimistisch.
Intensivbetten frei machen – reguläre Betten aufstellen
Zugleich rechnen die Ökonomin und ihr Kollege damit, dass künftig 40 Prozent der Intensivbetten für Covid-19-Patienten und Patientinnen zur Verfügung stehen. Das würde bedeuten, dass die Grundauslastung auf den Intensivstationen schnell merklich sinken müsste. Tatsächlich arbeiten die Spitäler österreichweit bereits daran, Intensivbetten frei zu bekommen.
So werden etwa Operationen, die nicht absolut notwendig sind, auf unbestimmte Zeit verschoben; darunter eben auch solche, bei denen im Anschluss eine Betreuung auf der Intensivstation nötig wäre. Zugleich setzen Krankenhäuser und Gesundheitsministerium auf das Abklingen der aktuellen Grippewelle. Er hoffe, dass dadurch Kapazitäten auch in den Spitälern frei werden, sagte vergangene Woche Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne).
Aufgestockt wurden und werden auf jeden Fall die Betten außerhalb der Intensivstationen. Insgesamt über 64.000 Betten finden sich in Österreichs Spitälern, fast 16.000 davon auf den Stationen für die Innere Medizin. Österreichweit stehen mittlerweile mehrere tausend zusätzliche Betten für Covid-19-Erkrankte in zu Lazaretten umfunktionierten Messe- und Turnhallen bereit. Und auch in mittlerweile zugesperrten Rehaeinrichtungen sollen künftig „Corona-Kliniken für Menschen, die weniger betroffen sind“, geschaffen werden, sagte Anschober vergangene Woche. Allein in Wien würde das laut dem Minister rund 6.000 Betten zusätzlich bringen.
„Kritisches Thema“ Personal
Bei den Intensivbetten gestaltet sich eine solche Aufstockung deutlich schwieriger – wenn nicht gar unmöglich. Das betonen auch Hofmarcher und Singhuber. Es sei „fraglich, ob sich intensivmedizinische Kapazitäten ohne Weiteres aufstocken lassen“. „Sowohl bei den im Zusammenhang mit den Symptomen einer schweren Covid-19-Erkrankung notwendigen Beatmungsgeräten und Schutzkleidung als auch beim (intensiv-)medizinischen Personal könnten sich Versorgungslücken auftun“, heißt es in dem Papier.
Auf das Personal als „kritisches Thema“ verwies auch der Präsident der österreichischen Fachgesellschaft der Intensivmediziner (ÖGARI), Klaus Markstaller. „Das ist jetzt schon knapp. Und schließlich können ja auch Angehörige des medizinischen Personals von Covid-19 betroffen sein“, sagte er bereits vor zwei Wochen.
Rufe nach Schutzausrüstung
Inzwischen sind auch Erkrankungen beim medizinischen Personal selbst nicht mehr nur eine Möglichkeit, sondern bereits mehrfache Realität. Zugleich mehren sich die Warnungen, dass in manchen Krankenhäusern Masken und Schutzbekleidungen knapp werden.
Die Regierung erklärte den Einkauf von Schutzausrüstung und anderen medizinischen Produkten wie auch Beatmungsgeräten inzwischen zur Chefsache. Die Besorgung soll künftig für ganz Österreich zentral abgewickelt werden. Das soll Lieferengpässen entgegenwirken. Ein Großteil der Produkte muss aus dem Ausland zugekauft werden. Und die internationale Nachfrage ist groß. Auch in vielen anderen Ländern steht das Gesundheitssystem vor den gleichen Herausforderungen wie in Österreich.