In den östlichen Bundesländern war die ansteckendere B.117-Variante Anfang des Jahres wesentlich früher durchgeschlagen als im Westen. Dadurch entwickelte sich hier auch schneller eine starke Dynamik nach oben, bremsende Faktoren wie die Impfung wirkten sich noch kaum aus. „Ohne den Lockdown ab Anfang April würden Wien, Niederösterreich und das Burgenland heute nicht so gut dastehen“, ist der Epidemiologe von der Donau-Uni Krems Gerald Gartlehner überzeugt.
Popper: Impfeffekt ab der zweiten Mai-Hälfte
Die fortschreitenden Impfungen und die saisonalen Effekte würden nun die Entwicklung der Zahlen österreichweit nach unten angleichen, erklärt Simulationsforscher Niki Popper von der Technischen Universität Wien im ORF.at-Gespräch. „Bei der Grundimmunisierung sind wir enorm fortgeschritten – 20 Prozent durch die Covid-19-Erkrankungen und 14 Prozent Immunisierte“ zeigen Poppers Modellrechnungen für Anfang Mai.
Man sehe bereits jetzt eine Reduktion der Hospitalisierten, die im April geimpft wurden. Popper: „Ab Mitte Mai steigt der Effekt bei der Ausbreitungsreduktion. Das setzt sich im Juni fort.“ Derzeit liegt die effektive Reproduktionszahl bei 0,85. Hier wird ein Rückgang aufgrund der Impfung ab der zweiten Mai-Hälfte erwartet.
Auch Komplexitätsforscher Peter Klimek von der MedUni Wien sieht bereits Auswirkungen der Impfungen. Ein Rückgang der Sterblichkeit bei den Hochbetagten sei bereits eingetreten. In den nächsten Wochen sind durch die Impffortschritte bei den Risikogruppen weniger schwere Krankheitsverläufe und dadurch eine Entlastung der Intensivstationen zu erwarten.
Suche nach dem „großen Gral“
Was ebenfalls mit in die Modellrechnungen der CoV-Prognosen mit einfließt, ist der saisonale Effekt. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind sich aber nicht einig, was tatsächlich alles darunter fällt. Popper: „Zur Saisonalität gibt es keine Evidenz. Das ist der große Gral, den wir suchen. Die Mechanismen sind unklar.“ Da spielten etwa das Wetter eine Rolle, das UV-Licht, das das Virus stärker deaktiviert, das geänderte Sozialverhalten und Ferien mit geschlossenen Schulen.
Klimek erwähnt auch noch die veränderte Luftfeuchtigkeit, die auch die Aerosoldynamik in geschlossenen Räumen beeinflusst, sowie das im Sommer besser aufgestellte Immunsystem. Es gebe viele warme Länder, in denen diese Saisonalität keine Auswirkungen habe, so Popper: „Bei uns hat das einen massiven Effekt.“
Der Verlust von Immunität nach einer Genesung werde vor allem für den Herbst und längerfristig auch für Geimpfte relevant, so die Experten. Klimek: „Die Immunität von der zweiten Welle wird weniger. Wiederinfektionen werden mehr und mehr zum Thema.“ Die Immunität der nach der zweiten Welle vor einem halben Jahr Genesenen könne man aber nun mit der Impfung auffangen.
Risiko der Öffnungen „überschaubar“
Die Experten erwarten schon mit den für 19. Mai geplanten Öffnungen einen leichten Anstieg der Infektionszahlen. Auch sei das Infektionsgeschehen vor dem Sommer höher als im vergangenen Jahr, sagte Gartlehner. Klimek rechnet vor allem bei den Jüngeren mit Anstiegen, da in dieser Gruppe viele noch nicht geimpft seien und viele Kontakte haben: „Mit Juni wird man aber auch bei dieser Gruppe einen Effekt durch die Impfungen merken.“ Das Risiko der Öffnungen sei daher „überschaubar“.
Popper rechnet im Herbst nicht unbedingt mit Maßnahmen, „die die Freiheit beschränken“. Das müsse das Ziel sein. Um die Situation auch im Herbst im Griff zu behalten, sei es wichtig, „das Augenmerk auf die Schwächen zu legen, Impfungen aufzufrischen, Schulscreenings durchzuführen und rasch Mutationen zu erkennen“.