LÄNDERWEISE ÖFFNUNG

Medizinisch „nicht nachvollziehbar“

 

 

Kritik an den bundesländerweise sehr unterschiedlichen Wegen aus dem Lockdown und Warnungen davor, die Omikron-Variante zu unterschätzen, sind am Donnerstag dem CoV-Gipfel von Bund und Ländern auf dem Fuß gefolgt: Der Leiter des Klinikums Salzburg, Richard Greil, betonte ebenfalls, es sei „medizinisch nicht nachvollziehbar“, dass in westlichen Bundesländern mit höheren Inzidenzen weiter und rascher geöffnet werde als im Osten.

 

 

Greil warnte mit Blick auf die Omikron-Variante davor, „in eine weitere Welle“ zu laufen. Die regional völlig unterschiedlichen Regeln sind auch für den Komplexitätsforscher Peter Klimek „schwer nachvollziehbar“.

 

 

Eine der Schwierigkeiten, die sich in der Pandemie immer wieder zeigt, ist die Tatsache, dass die Politik bei der Bekämpfung immer auf mehreren Zeitebenen gleichzeitig agieren muss – also Maßnahmen zur aktuellen Situation genauso planen muss wie für mittel- und langfristige Zeiträume. Und all das jeweils verschärft durch die Unsicherheit, dass sich die Situation etwa durch neu auftretende Varianten und neue Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Impfstoffe ständig ändern kann bzw. ändert.

Klimek: Epidemiologisch unlogisch

 

 

Dass jetzt Regionen mit höheren Inzidenzen mit weniger strengen Regeln öffnen, sei aus epidemiologischer Sicht unlogisch, so Klimek. Aus wirtschaftlicher Sicht sei das anders. Unmittelbar in eine neue Welle sieht er Österreich aber durch das Lockdown-Ende nicht laufen. Die „große Unbekannte“ sei aber Omikron, sagte Klimek zur APA.

 

 

Halte man sich vor Augen, dass Menschen Maßnahmen am ehesten dann befolgen, wenn sie „nachvollziehbar, verständlich und konsistent“ sind, dann sei dieses Kriterium mit dem Bundesländer-„Fleckerlteppich“, mit dem Österreich ab nächster Woche gestaffelt aus dem Lockdown geht, nicht erfüllt. Dass Gebiete mit immer noch hohen Inzidenzen teils mehr öffnen als solche mit niedrigen, zeige, dass nicht nur die Infektionskurve für die politische Schwerpunktsetzung wichtig ist – „was auch nichts Schlechtes ist. Natürlich muss man auch die wirtschaftliche Seite sehen“, so der Experte vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der Medizinischen Universität Wien.

Klimek: „Nicht sofort in neue Welle“

 

 

Entscheidend sei jetzt die Einschätzung des Risikos. Tue man so, als ob man es nur mit der Delta-Variante und nicht zusätzlich mit der höchstwahrscheinlich aufkommenden Omikron-Variante zu tun habe, helfe auf jeden Fall die nun höhere Immunitätsrate in der Bevölkerung. Diese wurde zuletzt stark dadurch erhöht, dass viele Leute impfen gingen und sich auch sehr viele Menschen infizierten. Klimek: „Ich würde nicht davon ausgehen, dass wir mit den größeren Öffnungsschritten jetzt sofort in eine neue Welle hineinlaufen.“

Delta wohl kontrollierbar

 

 

Die Delta-Variante sei mit den weiter aufrechten Einschränkungen vermutlich halbwegs unter Kontrolle zu halten. Was allerdings mit der offenbar deutlich leichter übertragbaren Omikron-Variante, gegen die laut ersten Labordaten auch der Impfschutz und der Schutz durch eine durchgemachte Erkrankung reduziert sind, auf uns zukommt, sei noch offen.

 

 

Nicht nur in Südafrika, sondern auch in Großbritannien und Dänemark steigen die Fallzahlen mit der neuen Variante rapide. „Da gehen jetzt langsam die Erklärungen aus, warum das in Österreich nicht so sein sollte und diese Variante in den nächsten Wochen und Monaten nicht übernimmt“, sagte der Experte.

„Massiv“ mit dritter und vierter Impfung starten

 

 

 

Greil gab im Ö1-Mittagsjournal zu bedenken, dass man derzeit von einem sehr hohen Inzidenzniveau herabkomme – und es daher sehr rasch wieder bei Spitälern zu einer Überlastung kommen könnte. Dazu komme noch die neue, noch schwer einzuschätzende Omikron-Variante. „Ganz wichtig“ sei es, dass die Politik der Bevölkerung klar signalisiere, dass in zwei Stufen geöffnet wird. In Salzburg wird etwa vor Weihnachten nochmals die Lage neu eingeschätzt. Damit mache man allen – der Wirtschaft wie der Bevölkerung – klar, dass Vorsicht angebracht sei.

 

 

Greil riet dringend dazu, jetzt „massiv“ mit der dritten und auch einer vierten Impfung zu beginnen. Die Nationale Impfkommission müsse sich hier ihrer Rolle bewusst sein. Greil plädierte für eine Verkürzung des empfohlenen Zeitabstands zwischen den Auffrischungsimpfungen, „damit wir hier nicht in eine weitere Welle laufen“. Greil sagte das mit Blick auf das neue Jahr. Er gab zu bedenken, dass der derzeitige Lockdown die Omikron-Verbreitung wohl gebremst habe.

Ruf nach regelmäßigen PCR-Tests

 

 

Experten der Forschungsplattform „Covid-19 Future Operations“ fordern unterdessen in einem aktuellen Papier mehr langfristige und evidenzbasierte Planung politischer Maßnahmen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Deren Ende sei nicht absehbar, subjektiv könne sie aber in den Hintergrund treten, „wenn wir gewisse Handlungen zur Gewohnheit machen, ähnlich wie wir z. B. unsere Kleidung dem Wetterbericht anpassen“. Entscheidend dafür seien das Impfen und regelmäßige PCR-Tests für alle.

 

 

„Im Sinne einer Routine des täglichen Handelns kann die Pandemie dann die Dominanz über Politik, Psychologie und Wahrnehmung verlieren“, schreibt die Expertengruppe, der etwa Politikwissenschaftlerin Barabara Prainsack, Klimek, Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) und Rotkreuz-Chef Gerry Foitik angehören.