Wie die Geometrie von Städten ihr Wachstum bestimmt

 

Zeige mir die dreidimensionale Geometrie einer Stadt und ich sage dir wie sie wächst. So könnte man die Ergebnisse einer im Fachjournal “The Royal Society Interface” veröffentlichten Arbeit von Komplexitätsforschern zusammenfassen, in der sie das Wachstum von Städten anhand ihrer Geometrie vorhersagen können. Das könnte eine viel effizientere und ressourcenschonendere Stadtplanung ermöglichen, sagte Stefan Thurner vom Complexity Science Hub (CSH) Vienna zur APA.

Städte sind komplexe Systeme und diese folgen einer bestimmten Art von Wachstumsgesetz, sogenannten “Skalierungsgesetzen”. Charakteristisch für diese Regeln ist, dass nicht alle Aspekte des Systems doppelt so groß werden, wenn sich das Gesamtsystem verdoppelt. “Einige Merkmale werden weniger, andere wiederum mehr als doppelt so groß”, so Thurner, der die Arbeit gemeinsam mit Carlos Molinero am CSH durchgeführt hat.

 

Sub- und superlineares Wachstum

Wenn also eine Stadt mit 100.000 Einwohnern und 20 Tankstellen auf 200.000 Einwohner wächst, wird die Anzahl der Tankstellen nicht auf 40 steigen, sondern nur auf 36. Diese Wachstumsrate (“Skalierungsexponent”) von rund 0,80 für jede Verdopplung gilt für einen Großteil der städtischen Infrastruktur wie den Energieverbrauch pro Person, den Flächenbedarf, die Länge der Kanalisation oder der Stromkabeln. Die Forscher nennen dies “sublineares Wachstum”.

 

Im Gegensatz dazu gibt es auch Aspekte mit einem “superlinearen Wachstum”, die bei jeder Verdoppelung ungefähr um den Faktor 1,2 wachsen. So verdienen Menschen in größeren Städten mehr für die gleiche Arbeit, sie telefonieren mehr und gehen schneller zu Fuß als Menschen in kleineren Städten.

 

Diese beiden Wachstumsraten von 0,8 und 1,2 tauchen in zahlreichen stadtbezogenen Zusammenhängen und Anwendungen auf. Und man findet sie auch in biologischen und physikalischen Systemen.

 

Fraktale und fraktale Dimensionen

 

Molinero und Thurner haben sich in ihrer Arbeit die frei zugänglichen Daten von 4.750 Städten in Europa angeschaut. Sie können anhand dieser Daten die dreidimensionale Struktur einer Stadt nachvollziehen, also wie viele Stockwerke die einzelnen Häuser haben und wie viele Menschen darin wohnen. Um damit rechnen zu können, ordnen sie jeder Person in einem Haus einen Punkt zu. Bei den dabei entstehenden Punktwolken für jedes Haus handelt es sich um “Fraktale”, die sich mathematisch durch ihre “fraktale Dimension” beschreiben lassen. Ähnlich verfahren sie mit dem Straßen- und Wegenetz einer Stadt.

 

So wie eine süditalienische Stadt völlig anders aussieht als eine englische Stadt, können sich auch jeweils ihre Bevölkerungs- und Straßennetz-Fraktale völlig voneinander unterscheiden. “Doch dividiert man die fraktale Dimension des Straßennetzes einer Stadt durch jene der Bevölkerungswolke kommt so etwas wie eine Naturkonstante heraus, die für alle Städte gleich ist – gleich ob das New York oder Baden ist”, sagte Thurner. Es handelt sich dabei um die “sublineare Wachstumsrate” von 0,80.

 

Was auf den ersten Blick verblüfft, macht für die Komplexitätsforscher durchaus Sinn: “Das bedeutet, dass der Mensch Städte immer so baut, dass es einen ganz engen Zusammenhang zwischen seinen Wohnorten und der Anlage seiner Bewegungspfade gibt. Das macht er immer gleich, egal wie die Stadt von außen aussieht, gleich aus welcher Kultur oder in welchem Klima.”

 

Reduktion durch Architektur oder Design

 

Weil diese Konstante das sublineare Wachstum bestimmt und sich aus der Geometrie der Stadt ergibt, kann man aber auch nach Möglichkeiten suchen, durch eine andere Architektur oder ein anderes Design der Bewegungsmuster diese Zahl zu reduzieren. “Auch wenn das nur um ein paar Zehntel Prozentpunkte gelingt, kann damit eine Stadt viel effizienter und ressourcenschonender werden. Man braucht dann weniger Stromkabel, Kanalisation, Straßen, etc. pro Einwohner”, so Thurner. Städte sollten also so geplant werden, dass dieses Verhältnis zwischen dem Straßennetzwerk und der dreidimensionalen Bevölkerungsverteilung möglichst klein wird.

 

Für europäische Städte sei das kein so großes Problem, weil diese nicht so stark wachsen. Doch die Wissenschafter verweisen auf die rasant voranschreitende Urbanisierung und die wachsenden Megacities: “Global wird sich in den nächsten 50 bis 80 Jahren die Zahl der Menschen, die in Städten leben, weltweit verdoppeln. Wenn etwa in Asien ganze Städte am Reißbrett geplant werden, kann man durch eine Reduktion dieser Zahl riesige Fortschritte in der Nachhaltigkeit machen”, ist Thurner überzeugt.

 

Service: https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsif.2020.0705

 

(APA/red, Foto: APA/APA (AFP))