Die Wieder-Aufbauer: Der geheime Expertenstab von Kanzler Kurz

 

SCHALTZENTRALE AMALIENTRAKT. Vier Arbeitsgruppen tüfteln an den Grundlagen, um künftig Krisen à la Corona besser bewältigen zu können.

Eine bisher unbekannte Gruppe sagt der Regierung, wie die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen kann – und wie die Republik nach Corona noch wettbewerbsfähig bleiben kann.

Es gebe jetzt “einen richtigen Schulterschluss”, freut sich Christian Helmenstein. Der Chefökonom der Industriellenvereinigung und Leiter des Forschungsinstituts Economica ist üblicherweise in scharfer Konkurrenz mit den Wirtschaftsforschern von Wifo, IHS oder Eco Austria. Doch für die neue Aufgabe muss der Wettbewerb ruhen. Es geht darum, alle Kräfte zu bündeln, um die Interessen von Medizin und Wirtschaft unter einen Hut zu bringen.”Wiederaufbaugruppe” wird das Netzwerk intern genannt, das in den letzten Wochen zwischen Bundeskanzleramt, Hofburg, Universitäten und Wirtschaftsforschern geknüpft wurde, technisch heißt es “Covid-19 Future Operations”. Universitäten wie die TU Wien, die MedUni Wien, die Unis Wien Klagenfurt, Innsbruck, Linz, Salzburg und Graz sind ebenso an Bord wie die Meinungsforschungsinstitute Sora und Market, die etwa die Akzeptanz der Maßnahmen abfragen. Die heiß begehrten Modellrechnungen werden unter anderem vom Complexity Science Hub Vienna, Economica, Fraunhofer Österreich, Eco Austria, von den Kärntner Prozess- und Datenanalytikern Hex sowie von der dwh GmbH des Simulationsexperten Nikolaus Popper beigesteuert.

Nach dem Improvisieren

 

Es geht um strategische Weichenstellungen, was die nächsten Schritte der Krisenbewältigung sein sollen und wie Österreichs Wirtschaft im Schatten der Pandemie wieder flottzukriegen ist.

 

Denn in der ersten Phase des Hochfahrens wurde überwiegend improvisiert. Die Lockerungsmaßnahmen ab 14. April seien mehr aus emotionalen als aus Expertenüberlegungen heraus getroffen worden, heißt es von Ballhausplatz-Insidern. Volkswirtschaftlich bringt das Öffnen der kleinen Geschäfte relativ wenig. Eine transparente, evidenzbasierte Diskussion über die Exit-Stufen gibt es – anders als in Deutschland – bisher nicht.

 

Koordiniert wird die heterogene Runde auf der einen Seite des Ballhausplatzes von Think Austria, dem von Kanzler Kurz installierten Thinktank im Bundeskanzleramt unter Leitung der früheren Boston-Consulting-Managerin Antonella Mei-Pochtler. Im Kabinett von Kurz selbst laufen die Fäden bei seinem Vizekabinettchef Markus Gstöttner zusammen. Auf der anderen Seite des Platzes, in der Hofburg, ist der bestimmende Mann Thomas Starlinger, bis Jahresende Verteidigungsminister der Regierung von Brigitte Bierlein, nun wieder Adjutant von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Er ist es, der das Netzwerk initiiert hat.

Resilienz und Krisenpläne für die Zukunft

 

Die Informationssammlung hat, so ein Mitglied der Gruppe, einen höheren Zweck, der weit über Datenanalysen hinaus geht: Österreich für die Zeit nach der Krise so wettbewerbsfähig und resilient wie möglich zu machen. Dazu soll ein – erstaunlicherweise bisher nicht vorhandener – gesamtstaatlicher Pandemieplan erstellt werden. Aber auch Krisenpläne für Risiken wie Cyberattacken oder Blackouts sollen produziert werden.

 

Besonderes Augenmerk gilt laut Mei-Pochtler den Lieferketten der österreichischen Leitbetriebe: “Wo gibt es Engpässe? Was braucht es, um sie wieder in Gang zu bringen?”

 

In ein bis zwei Wochen sind erste Empfehlungen der “Future Operations”-Gruppe zum weiteren Hochfahren der Wirtschaft zu erwarten – auf Basis internationaler Best-Practice-Beispiele. Die Taskforce der Regierung beschäftigt sich u. a. damit, inwieweit die Schritte im internationalen Gleichklang erfolgen können. Dazu ist man im ständigen Austausch mit den Corona-Teams der wichtigsten Exportmärkte. Intensiv wird auch über die Voraussetzungen nachgedacht, damit möglichst viele Handwerker und Dienstleistungsbetriebe wieder ihre Arbeit aufnehmen können.

 

In der Zusammenarbeit offenbaren sich aber auch die Bruchlinien zwischen Politik, Wirtschaft und Medizin. Die guten Zahlen bei den Neuinfektionen und der daraus resultierende Optimismus etlicher Experten werden auf Wunsch der Politik nicht nach außen kommuniziert. Wobei besonders der Bundeskanzler zur Vorsicht mahnt. Das führt jedoch von anderen Seiten zu ebenso großem Druck, offensiver zu sein. “Erstaunlicherweise werden die bisherigen Maßnahmen vor allem von Medizinern als übertrieben und hysterisch beurteilt”, sagt Mei-Pochtler. Was die Bewertung der Risiken bei einer Aufhebung des Lockdowns betrifft, kam es unter Medizinern zu einer regelrechten Lagerbildung.