Experte: „Wir brauchen Spielregeln im Umgang mit Viren“
Siegfried Walch forscht am MCI in Innsbruck am Risikomanagement einer zweiten Welle von Corona-Infizierten ab Herbst. Er empfiehlt Planung.
Von Verena Langegger
Innsbruck –Nach der ersten Covid-19-Krise mit dem Lockdown des Landes Mitte März gilt es nun bis zum Vorliegen eines Impfstoffes bzw. eines Medikamentes das Virus in den Alltag zu integrieren, rät Siegfried Walch, Leiter des Departments für Nonprofit-, Sozial- und Gesundheitsmanagement am Management Center Innsbruck (MCI). Der wirtschaftliche Schaden des damaligen „maximalen Lockdowns“ sei groß – besonders auf regionaler Ebene. Weil das Coronavirus aber nicht einfach weg sei, rät Walch zu einer Art von „Lawinenwarndienst“, damit Menschen „wach bleiben und auf sich und andere aufpassen“.
Dieses Risikomanagement-System müsse sich durch eine gut verständliche, wirkungsvolle Kommunikation auszeichnen, wie die unterschiedlichen Lawinenwarnstufen. Ein effektives System des Risikomanagements im Hinblick auf eine mögliche zweite Welle an Covid-19-Erkrankungen im Herbst oder Winter sei derzeit die so genannte „Corona-Ampel“. Diese sei ein allgemein verständliches Konzept, das die Grundlage der Kommunikation mit der Öffentlichkeit bilden könnte, erklärt Walch. Ein Beispiel dafür liefert der Complexity Science Hub an der Medizinischen Universität Wien. Diese Ampel wird nun bereits seit einem Monat „getestet“. Entwickelt wurde sie auf Anregung von Martin Sprenger – er gilt als Public-Health-Experte und war zu Beginn der Corona-Krise Mitglied des Beraterstabes von Gesundheitsminister Rudi Anschober (Grüne). Rot bedeute demnach höchste Risikostufe mit umfangreichen Schutzmaßnahmen, Grün stehe für geringes Risiko mit weitestgehender Handlungsfreiheit, dazwischen gebe es Gelb, eine Phase, in der erhöhte Vorsicht geboten ist.
Grenzwerte müssten sich an klaren Zielsetzungen orientieren
Die der Test-Ampel zugeteilten Werte sind vorerst von den Testern gewählt. Die Grenzwerte müssten jedoch von der Bundespolitik bzw. sogar international festgelegt werden, sagt Walch. Derzeit werde jedenfalls mit einem Covid-19-Fall pro 10.000 Menschen gerechnet. Die Grenzwerte müssten sich an klaren Zielsetzungen wie etwa der Sicherstellung der medizinischen Versorgung orientieren. Erarbeitet werden müssten diese im Rahmen eines Risikodialogs mit Experten unterschiedlicher Disziplinen.
Eine solcherart verfeinerte Ampel könnte dann die Grundlage für das Risikomanagement auf lokaler und regionaler Ebene darstellen, denn entschieden werden sollte regional. Immerhin seien derzeit etwa fünf von neun Tiroler Bezirken ohne Neuinfektion. Siegfried Walch ist optimistisch, dass es im Herbst und Winter keinen weiteren Shutdown braucht: „Wenn wir die Bürgermeister und über diese die Führungskräfte in den Unternehmen, in den Schulen und in allen anderen Organisationen in das Risikomanagement einbinden, kann der Umgang mit dem Virus bei sich verändernden Gefahrenlagen gelingen.“
„Wenn nur einer entscheidet, lehnen sich viele zurück“
Der Grund für die Dezentralisierung des Risikomanagements klingt schlüssig: „Ein Industriestandort funktioniert anders als ein Tourismusort, eine Schule anders als eine Universität, eine Kirche anders als eine Disco.“ Je mehr Menschen in Entscheidungsprozesse involviert seien, desto eher würden diese angenommen. „Wenn nur einer entscheidet, lehnen sich viele zurück.“
Walch empfiehlt zudem Unternehmen, den Sommer zu nützen und Notfallpläne vorzubereiten oder zu überarbeiten. „Das Risiko einer zweiten Welle muss integriert werden. Wir brauchen Spielregeln für das Leben mit Viren.“ Im Winter einfach so einen Besuch im Altenheim machen, werde wohl nicht mehr drin sein. Gleichzeitig müssten Konzepte entwickelt werden, damit alte Menschen in solchen Schließungsphasen nicht vereinsamen. Walch fordert, „den Sommer zu nützen, um den Risikodialog mit der Bevölkerung zu starten“. Auch Entscheidungsträger müssten sich ihrer Fürsorgepflicht bewusst sein. Wichtig sei, im Fall einer zweiten Welle rasch und unkompliziert auf Konzepte zurückgreifen zu können.