blackOUT – greenlN: Logistik in Krisenzeiten
FORUM GREEN LOGISTICS: Der Lockdown aufgrund der Pandemie ist nur eines von vielen möglichen Problemen, die ein gutes Katastrophen- und Krisenmanagement benötigen. Das heurige Forum Green Logistics hat sich deshalb mit verschiedenen Szenarien beschäftigt und potenzielle Lösungen diskutiert.
VON ANJA KOSSIK
Am 2. November 2020 fand das 6. Forum Green Logistics statt. Die Veranstaltung wurde von vielen Einschränkungen aufgrund der Pandemie-Regelungen beeinflusst und daher in einem hybriden Format abgehalten. Die für 2020 für das Thema relevanten Fragestellungen in Bezug auf die Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Planbarkeit in der Transportwirtschaft im Fall von Extremereignissen und Krisen waren bereits vor dem Einsetzen der Corona Pandemie festgelegt worden. Sie hatten jedoch mit den Entwicklungen während des ersten Lockdown noch einmal unerwartet an Aktualität gewonnen. Nur einige wenige aktive Teilnehmer sowie Moderator Bernd Winter, seit Oktober Pressesprecher (mit Schwerpunkt Güterverkehr b Rail Cargo Group) der ÖBB Holding, waren vor Ort in den Räumlichkeiten des Thinkport Vienna anwesend. Einige Vortragende waren via Video zugeschaltet. Die Veranstaltung wurde online live übertragen, auch die Verleihung des diesjährigen Pacemaker Awards (mehr dazu auf Seite 3).
Eröffnungsworte
Zur Eröffnung der Veranstaltung brachten die Initiatoren und der Ehrengast des Events, Bundesministerin Leonore Gewessler (BMK), ihre Anerkennung für die Anerkennung Bemühungen der Organisatoren zum Ausdruck. Davor Sertic, Gründer und Präsident des Forums Green Logistics, begrüßte alle Teilnehmer und bedankte sich beim Team des Thinkport Vienna, das trotz widrigster Umstände bis zuletzt daran gearbeitet hatte, die Veranstaltung überhaupt möglich zu machen. Doris Pulker-Rohrhofer, Technische Geschäftsführerin des Hafen Wien und Manfred Gronalt, Professor an der Universität für Bodenkultur Wien, bestätigten als Projektpartner des Thinkport Vienna in ihrer Begrüßung ihr Engagement für die Entwicklung von Innovationen und zum Aufbau einer nachhaltigen Logistik – der Krise zum Trotz. Pulker-Rohrhofer fand außerdem lobende Worte für ihre Mitarbeiter am Hafen Wien, die während des ersten Lockdown im Frühjahr an der Aufrechterhaltung der Grundversorgung mitgearbeitet hatten. Ministerin Gewessler betonte die Bedeutung, die das Forum für die Logistikbranche hat, damit sich im Bereich der Gütermobilität eine neue, grünere Art zu denken durchsetzen kann. Sie würdigte auch den Beitrag, der durch derartige Initiativen für das ambitionierte Ziel der Bundesregierung entsteht, bis 2040 die Klimaneutralität zu erreichen.
Klimakrise
Klimakrise Nach der Diskussion und der Verleihung der Preise wurden im Rahmen der Veranstaltung noch die unterschiedlichen Katastrophenszenarien und ihre Lösungen diskutiert. Den Anfang machte Gottfried Kirchengast vom Wegener Center for Climate and Global Change der Universität Graz. Er ist ein anerkannter Experte im Bereich der Klimaforschung. Er nutzte seinen Vortrag, um die Teilnehmer mit Hintergrundwissen zu den Themen Klimawandel und Klimaschutz zu versorgen. Grundlegende Fakten und Forschungsergebnisse aus der Klimawandelphysik zeigen, dass extreme und außerordentliche Ereignisse wie Starkregen oder Dürren auch in Zukunft nicht abreißen werden. Der menschgemachte Treibhauseffekt, der für derartige Ereignisse verantwortlich ist, kann anhand der gespeicherten Energie in der Atmosphäre ermittelt werden. Der gemessene Hitzestau hat in den letzten zehn Jahren enorm zugenommen. Kirchengast verwies auf die unvermeidliche Notwendigkeit, die Transformation in Richtung einer nahezu emissionsfreien sowie klimarobusten Wirtschaft und Gesellschaft tatsächlich zu verwirklichen. Nur durch die Reduktion Energiemengen und eine nachhaltige Lebensweise werden die Ziele das Pariser Klimaschutzabkommens und der europäischen Green Deal” zu erreichen sein. Auf dem Übergang dorthin wird es viele Anpassungen brauchen, die auch die Logistikbranche betreffen werden. Das heißt, es wird sowohl kurzfristige Maßnahmen als auch eine langfristige Begrenzung brauchen. Je später diese Begrenzung beginnt, desto bedrohlicher werden die Extremereignisse, so Kirchengast.
Resiliente Siedlungsstrukturen
Julia Forster, Leiterin des Simlab der TU Wien, präsentierte in ihrem Vortrag die Arbeit mit Simulationen, die auf strategischen Energie- und Mobilitätsdaten aus Siedlungsgebieten basieren. Die Raumplanung beschäftigt sich bei der Siedlungsentwicklung mit dem Denken in Was wäre, wenn?”-Szenarien. Dabei ist das Ziel in der Raumplanung immer die Entwicklung von robusten und resilienten Siedlungsstrukturen. Das erfordert, so Forster, eine holistische Betrachtungsweise der Wecheinzelnen Indikatoren. Nur wenn in der Stadtplanung in Varianten und Alternativen gedacht wird, kann es zu innovativen Lösungsstrategien kommen. Im Logistikbereich geht es bei der Siedlungsentwicklung vor allem um Verkehrssysteme und die Güterversorgung. Die Quintessenz von Forsters Vortrag: Um optimale Entscheidungen für Entwürfe und Projekte zu treffen braucht es die Kooperation ganz unterschiedlicher, planungsbeteiligter Stakeholder. Denn damit ein adäguater Lösungsvorschlag für alle Planungsbeteiligten gefunden werden kann, ist oft eine Veränderung der Rahmenbedingungen oder eine Anpassung des hinter dem Entwurf stehenden Leitgedankens notwendig. notwendig.
Katastrophenlogistik
Der Vortrag von Stefan Thurner, Leiter des Complexity Science Hub Vienna, und Manfred Gronalt, Leiter des Instituts für Produktionswirtschaft und Logistik an der Boku, beschäftigte sich schließlich mit der Frage: Wie funktioniert Logistik, wenn nichts mehr funktioniert? Denn vorhersehbare und unvorhersehbare globale Ereignisse stellen für Logistiker immer wieder neue Herausforderungen dar. Was tun, wenn der Strom oder das Internet ausfällt? Welche Maßnahmen braucht es bei Erdbeben, Überflutungen oder Großbränden? Wie geht man damit um, wenn Menschen lokal oder regional nicht mehr handlungsfähig sind? Gronalt betonte noch einmal, dass es einen guten Grund dafür gibt, warum dieses Jahr ausgerechnet die Lebensmittelhändler mit dem Pacemaker Award ausgezeichnet wurden. Sie hätten während des ersten Lockdown nicht nur Großartiges geleistet, sondern sie wären auch gegenüber der Wissenschaft immer kooperativ und offen gewesen. Denn die Forscher hätten sich intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Rahmenbedingungen es dafür braucht, um die Versorgung der heimischen Bevölkerung zu gewährleisten. Denn, so Gronalt, die Bewältigung von zeitlich und örtlich beschränkten Einzelereignissen funktioniere mit den vorhandenen Instrumenten und Schemata des Katastrophenschutzes bereits gut. Anders sehe die Sache aber bei vernetzten Ereignissen aus. Darunter fallen beispielsweise Blackouts, Cyberattacken, Dürrekatastrophen, Seuchen oder der Klimawandel, bei denen Lieferketten an mehreren Stellen unterbrochen werden. Auch die aktuelle Pandemie fällt in diese Kategorie der multikausalen und langandauernden Krisen. Es sei schwierig, so Gronalt weiter, auf derartige systemische Ereignisse gut und richtig zu reagieren, denn moderne Lieferketten sind an mehreren Stellen anfällig: Sie sind vernetzt, bestandsarm und global ausgerichtet. Gepaart mit einem außergewöhnlichem Bestellverhalten der Kunden wie Hamsterkäufen kommt die Versorgung an ihre Grenzen.
Riskmonitoring
Stefan Thurner erklärte in seinem Vortrag, wie der Systemische Riskmonitor (SYRI) für die 30 wichtigsten Lebensmittel als Planungstool im Katastrophenfall aufgebaut ist. Am Beispiel der Grundversorgung der österreichischen Bevölkerung mit Milch zeigte Thurner das systemische Risiko und die Auswirkungen auf das gesamte System, wenn auch nur ein Akteur in der Kette ausfällt. Unter Akteur versteht er jeden, der an der Bereitstellung des Lebensmittels beteiligt ist, wie Produzenten, Importeure, Grenzbeamte, Logistiker, Kühlhäuser oder einzelne Filialen der Lebensmittelhändler. Um die notwendigen Kennzahlen zu errechnen, braucht es laut Thurner ein detailliertes Wissen über die vorhandenen Herstellungsund Lieferprozesse und über die Zusammenhänge und Abhängigkeiten in Liefernetzwerken. Denn nur wenn dieses digitalisierte Wissen rechtzeitig entsprechend gesammelt und ausgewertet wird, steht es im Krisenfall auf Knopfdruck zur Verfügung.