Die Pandemie war nur wenige Wochen alt, da setzte sich der US-Amerikaner Paul Romer mit Kollegen an den Computer und rechnete. Romer ist Wirtschaftswissenschafter, für seine Analysen zu technischen Innovationen erhielt er den Nobelpreis. Im März 2020 waren die klassischen Eindämmungsstrategien überall gescheitert. Erkrankte wurden getestet und Infizierte samt deren Kontakte isoliert, dennoch bekam man die Ausbreitung des Virus nicht in Griff. Fast alle Länder verordneten Lockdowns.
Ende April publizierte Romer eine Studie über einen möglichen Ausweg aus der Pandemie. Würde man alle Menschen regelmäßig testen, könnte man die effektive Reproduktionszahl unter 1 drücken. Diese Zahl ist maßgeblich in der Pandemie. Das Virus gibt durch seine Infektiosität die sogenannte Basisreproduktionszahl vor, die angibt, wie viele Personen durchschnittlich von einem Infizierten angesteckt werden. Durch Eindämmungsmaßnahmen lässt sich diese Zahl “effektiv”, also in Realität, senken. Wenn sie unter 1 liegt, nehmen die Fallzahlen ab. Auch durch Massentests?
Das Modell Romers war im April 2020 nur ein kühner Gedanke. Die PCR-Testkapazitäten waren dafür nicht einmal annähernd ausreichend. Rund zwei Jahre später kommt ein Land dieser Utopie aber näher als alle anderen: Österreich. Bisher wurden mehr als 138 Millionen Corona-Tests durchgeführt, 56 Millionen davon waren PCR-Tests. Allein in Wien werden jede Woche zwei Millionen Proben ausgewertet, rein statistisch also eine von jedem Wiener und jeder Wienerin. In der Realität ist die Verteilung eine andere. Aber dazu später.
Dass Österreich zum selbsternannten Test-Weltmeister wurde, war strategisch gar nicht geplant. Wie so oft in dieser Pandemie stolperte die Regierung in diese Maßnahme hinein. Es begann mit dem letztlich verunglückten Massentest im Dezember 2020, den Ex-Kanzler Sebastian Kurz übereilt angekündigt hatte. Die angedachte Wiederholung dieses Experiments nach den Ferien sollte zu einem “Raustesten” aus dem Weihnachts-Lockdown werden, die SPÖ verhandelte es aber noch zu einem “Reintesten” in Gastronomie und Veranstaltungen um. Österreich war damit eines der ersten Länder, das solche Zutrittsberechtigungen beschloss.
Das führte zwar nicht zu einem flächendeckenden Screening aller Menschen, aber es erhöhte die anfangs zaghafte Nachfrage nach Tests. Vor allem ab dem Zeitpunkt, als der Lockdown dann tatsächlich endete. Das Ziel der Zutrittstests war dabei primär, das Risiko zu reduzieren, dass eine unbemerkt infizierte Person eine Bar besucht und dort möglicherweise viele Menschen ansteckt. Aber natürlich hoffte man auch, dass sich dadurch insgesamt mehr Menschen testen.
Schon im Jänner 2021 hat der Simulationsforscher Niki Popper auch den epidemiologischen Effekt eines breiten Bevölkerungsscreenings modelliert. Ein “Wegtesten” des Virus, wie dies Romer ein Jahr davor berechnet hatte, ist aus Poppers Studie nicht herauszulesen, wohl aber eine “deutliche Reduktion”, würde man circa 100.000 Haushalte pro Tag mittels PCR testen. Damals, im Jänner, war auch diese Anzahl noch unrealistisch, aber schon im Mai gurgelten in Wien tatsächlich 100.000 pro Tag. Das Virus war zu jenem Zeitpunkt allerdings gerade auf Sommerpause.