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Wer die Daten hat, entscheidet
Wien.(est) Die Digitalisierung erleben die meisten Menschen über Smartphones, Internet, Soziale Medien und Apps. Online buchen sie Reisen, kaufen ein, zahlen Haushaltsrechnungen. Hinter den Anwendungen stehen lernfähige Systeme, die Sprachkommandos erkennen, Persönlichkeitsprofile erstellen, Zahlungsverkehre registrieren, Arbeiten erledigen und das Leben zunehmend beeinflussen.
“Künstliche Intelligenz (KI) könnte von größerer Bedeutung sein als die Zähmung des Feuers – ähnlich wie vielleicht die Erfindung der Dampfmaschine”, heißt es im Jahrbuch zu den am 23. August startenden Alpbacher Technologiegespräche, das am Donnerstag in Wien präsentiert wurde. Der vom Austrian Institute of Technology (AIT) herausgegebene Band mit dem Titel “Künstliche Intelligenz” gibt einen Ausblick auf die Zukunft – und räumt mit Ängsten und kühnen Heilsversprechen auf. Das Ergebnis ist ein realistisches Bild des Fortschritts. Etwa kann fernab aller Visionen, wonach Auto-Besitzer gemütlich im Internet surfen während der Wagen zur Arbeit pendelt, niemand sagen, wann selbstfahrende Autos auf die Straßen kommen werden. Die Umsetzung ist komplexer als erwartet, weil niemand weiß, wer bei Unfällen haftet, wenn nicht der Fahrer, sondern die Maschine lenkt. Die digitale Medizin hingegen reicht weiter als allgemein bekannt. Apps, die Schritte messen, sind nur die Spitze des Eisbergs. Schon heute lernen Maschinen, die Wachstumsmuster von Tumorzellen zu erkennen. Künftig soll die Software bei ersten Anzeichen solcher Muster Alarm schlagen, damit der Krebs schon im Keim erstickt werden kann.
Derartige Anwendungen entstehen, indem Maschinen aus enormen Datenmengen lernen, worauf es bei Fragestellungen ankommt: Je mehr Daten sie sichten, desto besser kennen sie das Thema und desto handlungsfähiger werden sie. Konsumenten erhalten dann unter anderem präzisere Produktvorschläge von Internet-Händlern.
Obwohl es unsere sind, gehören uns die Daten nicht. “Sondern sie gehören den weltweiten Internet-Konzernen”, sagte Petra Schaper-Rinkel, Politologin und Senior Scientist für Zukunftstechnologien am AIT: “Europa fehlt die digitale Infrastruktur, um im Bereich KI mithalten zu können.” Eine solche Infrastruktur würde “bestimmen, ob wir Daten kontrollieren oder wir kontrolliert werden”. “Künstliche Intelligenz entscheidet über die Vorherrschaft zwischen den USA und China, während Europa zurückfällt und Österreich zurückliegt”, warnte AIT-Aufsichtsratschef und Buch-Herausgeber Hannes Androsch: “Insbesondere qualifizierte Arbeitskräfte gehen uns aus, weil wir die Universitäten unzureichend ausstatten.” Im internationalen Shanghai-Ranking etwa erzielte am Donnerstag die Universität Wien den besten Platz in Österreich in Ranggruppe 151-200.
Innovationsvorsprung
In den USA stecken die Technologie-Konzerne Milliardenbeträge in Künstliche Intelligenz. China hat eine nationale Strategie, die das Land bis 2030 zur führenden KI-Nation machen soll. Auch Deutschland will “zum weltweit führenden Standort für KI werden” und setzt mit Frankreich auf europäische Forschungskooperation. Um mithalten zu können und eine Abwanderung von Forschern zu verhindern, hatten 500 europäische Wissenschafter jüngst dazu aufgerufen, einen europäischen Forschungsverbund zu schaffen.
Für Androsch benötigt Österreich “eine inhaltliche KI-Strategie, die von der Forschung kommen muss” und die die Unterstützung der Politik benötigt. Zusätzlich zu dem vorhandenen “Complexity Science Hub Vienna” sollten weitere zwei bis drei Zentren gegründet werden, die sich schwerpunktmäßig mit KI beschäftigen.
Für Schaper-Rinkel ist entscheidend, wer KI zu welchem Zweck entwickelt. Ein wichtiger Faktor bei der Industrialisierung sei der Transport gewesen – Bahnen seien daher im staatlichen Eigentum gestanden. “Warum müssen wir zum Einkaufen und Bezahlen von Unternehmen abhängig sein?”, sagte sie. Durch demokratisch legitimierte digitale Infrastrukturen, wo die Menschen bestimmen, wem sie welche Daten geben, würde die Transparenz steigen und könnten Innovationspotenziale auch lokal genutzt werden.