Birgit Kainz rührt den Pinsel bedächtig im Kleister. Kainz, Bottich und Schaufensterpuppe stehen im Atelier im Dachbodenausbau des 97 Jahre alten und 2014 renovierten Stadels auf dem früheren Bauernhof ihrer Eltern im Weinviertler Ort Oberschoderlee. Der Puppe fehlt an den Fingern und am Kopf ein Stück ihrer neuen “Haut”. Es ist eine aus Zeitungsartikeln, “weil sie illustrieren, was gerade passiert und noch passieren wird”.
“Es ist die Gier nach Informationen, die uns permanent umgibt. Medien und Wissen vermitteln uns Schutz oder zumindest Stabilität, wie eine Haut oder Kleidung, gerade in unsicheren Zeit”, ergänzt ihr Mann Peter Kainz. Er konturiert die Hand seiner neuesten Figur auf einer “Wiener Zeitung”, es ist sein mittlerweile siebzehntes Aquarell – Corona-Viren-Luftballons inklusive. “Das war ursprünglich nicht geplant, sondern nur, dass ich Themen aus der Zeitung aufgreife, die Szenerie erweitere, damit einen unverlangten Beitrag zum Thema mache. Jetzt aber kann man sich Corona nicht ganz versagen.”
Die mit Zeitungshaut überzogenen Puppen, die Aquarelle und weitere Texte als Pflückgut auf zwei Leinen sollten ursprünglich ab Mai im Complexity Science Hub im Palais Strozzi zu sehen sein, um sie zu sehen, zu lesen, die Zeitungstexte auch abzunehmen und auszutauschen. Es geht um Emotio und Ratio, Arm und Reich, Feuer und Eis. Die “künstlerische Intervention”, wie Peter Kainz sie nennt, ist das elfte www.birgitundpeterkainz.at“>”Human”-Projekt, bei dem sich das Ehepaar mit Menschen, Humanismus, Verbindendem und Gegensätzlichem auseinandersetzt. Der Ausstellungsstart rutscht Corona-bedingt nun in den Herbst.
An der “Haut” arbeiten
Seit Montag, den 16. März, haben die Kainz nun sehr viel Zeit, sich der Ausstellung zu widmen. Die digitale Fotografie und Digitalisierung von Kunst und Kulturgütern, mit der sie seit 1997 mit ihrem Unternehmen “faksimile digital” in Wien und Niederösterreich ihren Lebensunterhalt bestreiten, steht seitdem still.
Eigentlich hätten sie mit ihrem Hauptauftraggeber, dem Wien Museum, bereits das Fotografieren im Depot in Himberg kontaktarm organisiert gehabt. Mit der Schließung der Museen kam aber die Order: Auch das Digitalisieren der Taschenuhren-Sammlung Marie von Ebner-Eschenbachs ist vorerst vorbei, genauso wie die Ausstellungs- und die Porträt-Fotografie, wo Peter Kainz bislang unter anderem Yoko Ono, Valie Export und Oswald Oberhuber fotografierte. Open End – auch für den Umsatz-Einbruch.
Peter Kainz sorgt sich “permanent”, Birgit beruhige ihn. Sie weiß aber, dass mangels neuer Aufträge “die Zahlungen zumindest der nächsten Monate aus den Rücklagen erfolgen müssen”. Die beiden bemühen sich um Wirtschaftshilfe. Das geht von Niederösterreich aus auch, Wohnhaus und Arbeitsstätte in Wien sind derzeit verwaist. “Man kann hier am Land leichter Leute meiden”, sagt Birgit. “Und die, denen man begegnet, sind unaufgeregter als die in der Stadt”, fügt er hinzu.
(Un)aufgeregtes Landleben
Das Landleben hat aber noch einen Grund: Im Doppelhaus, das, obwohl erst 30 Jahre alt, mit Arkadenhof in L-Form an den ursprünglichen Bauernhof an dieser Stelle aus dem 19. Jahrhundert erinnert, leben auch Birgit Kainz’ Eltern. Maria und Leopold Bischinger sind 85 und 84 Jahre alt. Sie zählen zur Risikogruppe, benötigen mobile Pflege.
Die Pflegerinnen arbeiten zwar sehr vor- und umsichtig weiter; Putzhilfe, Hausarzt, Fußpflege und Therapie aber haben Termine abgesagt. Auch Einkäufe und Apothekenwege, die Leopold Bischinger sonst noch oft selbst erledigt, übernehmen nun Birgits Bruder und sie selbst für die Eltern. Man halte aber Abstand, “damit wir sie nicht gefährden, weil wir beim Einkaufen ja doch draußen sind”. Sonst bleibt man aber unter sich. Und noch geht es allen gut, Peter Kainz fehlen sonst lästige, durch Termine strukturierte Tage sogar ein wenig. Man höre aber, dass zu über 90-Jährigen in der Region trotz Shutdown noch Kinder, Enkerl und Urenkerl zu Besuch kamen, es auch schon erste Covid-19-positiv Getestete gibt.
Leopold Bischinger nimmt es gelassen, er und seine Frau hätten als Kinder bereits einen Krieg, später Sars, Mers, Vogel- und Schweinegrippe überlebt, “dann werden wir auch das schaffen”, sagt er. Seine Tochter klingt etwas zaghafter in ihrem Optimismus: “Ich geh zwar vom Positivsten aus, aber wir wissen eben nicht, wie es weitergeht. Aber vielleicht pflegen wir nach dieser Krise wieder mehr das regionale Miteinander bewusster, das fehlt mir im Moment.”