Politik & Wirtschaft

(v.l.n.r.): Christian Müller, Stefan Thurner, Ulrike Felt, Christian Smoliner, Manfred Maier, Klement Tockner © APA (Wasserfaller)

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Wissenschaft im Umbruch: “Zeitalter der Information und der Ignoranz”

14.03.2018

Wien (APA) – Die Anforderungen an die Wissenschaft, zeitgenössische Herausforderungen und drängende Zukunftsfragen zu lösen, sind hoch. Was die Freiheit der Wissenschaft in diesem sich rasant verändernden Umfeld zwischen Auftragsforschung und mangelnder Risikobereitschaft am meisten gefährdet, wurde kürzlich bei einer Veranstaltung der Plattform APA-Science in Wien diskutiert.

“Wir sind mit einer zunehmenden Privatisierung von Wissenschaft konfrontiert. Drei Viertel der Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der OECD kommen bereits von Industrie und Militär. Auf die Öffentliche Hand entfällt nur mehr ein Viertel – mit sinkender Tendenz”, erklärte Klement Tockner, Präsident des Wissenschaftsfonds FWF. Am meisten würden US-Militäreinrichtungen und -Geheimdienste investieren, aber auch große Konzerne wie Volkswagen, Samsung oder Roche hätten durchaus größere Forschungsbudgets zur Verfügung als manche Staaten.

Auch dadurch sieht er sogenanntes “Dark Knowledge” am Vormarsch, also nicht zugängliches, verzerrtes oder unverständliches Wissen. Das habe oft ökonomische, ideologische oder politische Ursachen. Trotz eines massiven Anstiegs an Daten und Informationen nehme die Kluft zwischen potenziellem und tatsächlich öffentlichem Wissen zu. “Wir leben in einem Zeitalter der Information und der Ignoranz”, so Tockner im Rahmen der Diskussion unter dem Titel “Wer bestimmt die Forschung?”. Dazu komme die Oligopolisierung des Wissens, wo wenige viel und viele wenig wissen.

Geografische Verschiebungen

Eine weitere massive Veränderung in der Wissenschaftslandschaft seien geografische Verschiebungen vom angloamerikanischen Raum in Richtung Südostasien. “Im Ingenieursbereich, bei Künstlicher Intelligenz oder den Materialwissenschaften kommen praktisch alle führenden Einrichtungen bereits von dort”, so der Experte. Verschiebungen gebe es aber auch innerhalb Europas. So hätten Tschechien und Polen bei der Grundlagenforschung massiv aufgeholt, generell gehe der Trend von West nach Ost. Im Zunehmen sei auch die Kluft zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der öffentlichen Wahrnehmung – siehe Klimawandel, Impfungen und genetisch veränderten Nahrungsmittel.

Als größtes Problem für die Freiheit der Wissenschaft sieht Komplexitätsforscher Stefan Thurner die Community selbst. “Sie nützt ihre Freiheit zu wenig und betreibt Mainstream-Forschung, wodurch das System extrem ineffizient wird. Da ist auch keine Lösung in Sicht”, sagte der Wissenschafter des Jahres 2017. In den USA werde das genutzt, um bestimmte Projekte abzudrehen – unter Hinweis auf den unklaren Nutzen. Nachwuchswissenschafter seien weniger im Mainstream gefangen, weshalb man überlegen sollte, die Emanzipation von den “Chefs” früher einzuleiten.

“Wir leben in einer ökonomisierten Gesellschaft, das macht auch vor der Wissenschaft nicht halt. Und die Wissenschaft ist auch noch nicht der Ort, der sich aus dem Mainstream entfernt hat. Wir sind weiter von der notwendigen Risikobereitschaft entfernt als je zuvor”, erklärte auch Christian Smoliner, Leiter der Abteilung Forschung/Innovationen/Zukunft im Wissenschaftsministerium, in Hinblick auf niedrige “Scheiterquoten”.

Orte kreativer Ruhe und Unruhe

Es müssten Orte kreativer Unruhe geschaffen werden, die die Fitness des Systems erhöhen, “und gleichzeitig braucht es Orte kreativer Ruhe für langfristigere Themen und Karrieren. Wenn man nicht jedes Vierteljahr einen Bericht abliefern muss, schafft das Freiräume”, so Smoliner. Kritik gibt es an manchen Vermarktungsstrategien: “Katastrophenszenarien unterminieren die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Langfristig kann das tödlich sein.”

“Eine Gefahr sind auch Monopolisten, die den wissenschaftlichen Markt verzerren – zum Beispiel Google, wo tausende der besten Computerwissenschafter angestellt sind”, so Thurner: “Die fehlen woanders.” Die Auftragsforschung sei hingegen keine große Gefahr für die Freiheit der Wissenschaft: “Das ist in Ordnung und zeigt, dass Wissenschaft funktioniert, weil man damit Probleme gelöst bekommt.”

“Forschen darf man, was man will. Aber dann gibt es kein Geld, keinen Vertrag und keinen Raum. Es bestehen multiple Formen von Abhängigkeiten”, stellte Ulrike Felt, Leiterin der Forschungsplattform Responsible Research and Innovation in Academic Practice der Universität Wien, fest. Ein Problem für die Universitäten sei beispielsweise die geringe Basisfinanzierung und die notwendigen Außenmittel.

Niedrige Bewilligungsquoten

Kritik kommt auch an “Bewilligungsquoten von unter zehn Prozent. Das ist mit einem Lotto-Spiel vergleichbar und rechnet sich vom Aufwand nicht mehr”, so Felt. Hier müsse man sich überlegen, wie viel Wettbewerb sinnvoll sei. “Je selektiver, desto besser”, sei der falsche Weg. Was den gesellschaftlichen Nutzen betrifft, “haben wir begonnen, extrem kurzfristig zu denken. Was erreichen wir in drei Jahren? Das bringt die Innovation um. Wir müssen Wissen erzeugen, das auch noch in Jahrzehnten hilfreich ist.”

Den Nutzen von Forschungsergebnissen für die Gesellschaft auf sehr einfache Weise zu messen, hatte Manfred Maier, ehemaliger Vorstand der Abteilung Allgemein- und Familienmedizin an der MedUni Wien, schon 2011 im Visier. Er stellte im Fachjournal “Nature” ein entsprechendes Verfahren vor – als Ergänzung zum dominierenden Impact Factor. Das habe eine Unzahl an Fragen und Diskussionen ausgelöst und die MedUni sei auch bereit gewesen, das auszuprobieren. Letztendlich sei aber aus Personal- und Geldmangel nichts daraus geworden. Das Thema beschäftige seit den 1990er-Jahren die Wissenschaft. Nach wie vor gebe es aber kein einheitliches, anerkanntes Verfahren.