Wien. Warum schafft sich die Menschheit moralisierende, strafende oder auch rachsüchtige Gottheiten? Die Wissenschaft liefert die Antwort: Große Gesellschaften auf der ganzen Welt konstruierten sich moralisierende Götter, damit sie nicht in ethnische Gruppen zerfallen. Anders als bisher angenommen, sind laut den Forschern Gesellschaften nicht getrieben von Furcht wegen ihres Glaubens an übernatürliche Sittenwächter entstanden, sondern diese waren nur der Kitt.

 

Das Team um Patrick Savage von der Universität Oxford untersuchte Daten zu 414 Gesellschaften aus 30 Regionen weltweit, die sich in den vergangenen 10.000 Jahren gebildet haben. Mächtige, moralisierende Götter oder übernatürliche prosoziale Lenkmechanismen wie das Karma der Buddhisten entstanden fast immer erst dann, wenn die Gesellschaften mehr als eine Million Menschen zählten, berichten die Forscher im Fachmagazin “Nature”. Auch Peter Turchin von der University of Connecticut, der assoziiertes Mitglied des “Complexity Science Hub” (CSH) in Wien ist, zählt zum Team.

Kitt für die Gesellschaft

 

Der Glaube an diese Gottheiten und Phänomene ist somit nicht Voraussetzung, dass die Menschen kooperieren und komplexe Gesellschaften bilden, sondern der Kleber, der diese ab einer gewissen Größe zusammenhält, erklären die Forschenden. Vermutlich sei er notwendig, damit verschiedene Gruppierungen in einem multiethnischen Reich gemeinsame Sache machen.

 

“Standardisierte Rituale entstanden jeweils viel früher als der Glaube an moralisierende Götter”, betont Turchin in einer Aussendung. Das lege nahe, dass “eine gemeinsame Identität für die Kooperation wichtiger ist als eine religiöse Überzeugung”. Für ihre Arbeit nutzen die Wissenschafter die frei zugängliche “Global History Databank”.